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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Leuchtfeuer loderte.
    Sabatea hatte sich nicht weit vom Teppich entfernt, nur ein Stück bis zu einer Kerbe im Boden; es sah aus, als sei dort vor langer Zeit ein Katapultgeschoss eingeschlagen. Falls die Dschinne so etwas überhaupt benutzten, was er bezweifelte. Die beiden mussten an der Öffnung ihre Notdurft verrichtet haben, denn auch Junis’ Spuren führten dorthin. Von dort aus war Sabatea zum Teppich zurückgekehrt, während Junis zur Bruchkante des Wallstücks hinübergegangen war. Tarik lächelte schwach; wahrscheinlich ahnte sein Bruder nicht, dass das Mädchen sehr wohl wusste, wie man ins Muster griff. Sonst hätte er sie nie mit dem Teppich allein gelassen.
    Der Versuch, das Treiben der beiden auf dem Wall nachzuvollziehen, lenkte ihn von seinen Erinnerungen ab. Nachdenklich folgte er Junis’ Spuren zur Kante. Das gewaltige Loch, das die Angreifer in die Mauer gesprengt hatten, war gut dreißig Meter breit. Das aufgerissene Innenleben des Walls gähnte unter ihm mit all seinen Löchern und Höhlungen, den halbverschütteten Gängen und Räumen.
    Er wollte gerade in die Tiefe blicken, als ihm die Sanduhr einfiel. Er hatte sie nicht aufgestellt. Das war unverzeihlich. Aber er war erst wenige Minuten hier oben. Lange, bevor die zwei Stunden abgelaufen wären, würde er wieder unterwegs sein.
    Zwei Stunden waren in etwa der Zeitraum, den die Geister des Dschinnlandes brauchten, um einen nahen Menschen zu wittern. Tariks Vater hatte dies so festgelegt, ausgehend von jahrelanger Erfahrung; vielleicht auch nur aus dem Wunsch heraus, irgendeine Regel aufzustellen, die ihm in der Einsamkeit Halt gab. Tarik hatte das Gebot nie auf die Probe gestellt. Und hätte er herausgefunden, dass die Sanduhr letztlich nicht mehr als ein Glücksbringer war, ähnlich wie seine eigenen sinnlosen Rituale beim Flug durch das Dschinnland, so hätte das keinen Unterschied gemacht. Hier draußen gab es nichts mehr, das man respektieren konnte, also brachte man sich etwas mit. Eine Tradition. Das Gefühl, sich an etwas halten zu können. Selbst wenn es nur ein paar Hände voll schwarzer Sand waren.
    Er ging zurück zum Teppich und holte die Sanduhr aus seinem Bündel. Mit einer Handbewegung zog er den Stift hervor, der die Verbindung zwischen den beiden Kristallkammern öffnete. Er stellte die Uhr auf den Boden und sah zu, wie der erste Sand rieselte. Ein hauchfeiner schwarzer Faden, nur eine Ahnung im Sternenschein.
    Anschließend trat er zurück zur Bruchkante und schaute hinab. Gähnende schwarze Öffnungen. Das Säuseln des Windes in den künstlichen Kavernen und Schächten. Perfekte Verstecke für Wesen, die nachts auf die Jagd gingen. Nur dass es hier kaum etwas zu jagen gab. Wenige Tiere lebten noch am Rande der Karakum und noch wenigere in ihrem Inneren. Keine Vögel mehr, die waren schon vor langer Zeit geflohen, nur ein paar ausgemergelte Vierbeiner. Und Reptilien, natürlich, davon sogar eine Menge. Aber die Echsen dieser Gegend waren dürr und ungenießbar.
    Er ging an der Kante entlang bis zu den Zinnen und blickte hinab auf den Fluss in seinem Bett aus Schwemmland. Selbst von hier oben aus und im schwachen Licht konnte er sehen, dass mit dem Wasser etwas nicht stimmte. Es sah schwarz und zäh aus. Das Gras an seinem Ufer hatte sich entfärbt, war nahezu weiß. Er hatte solche Auen nie zuvor gesehen, und diese verhieß nichts Gutes. Der Fluss war zweifellos vergiftet, die Gewächse an seinem Ufer nicht tot, aber auf seltsame Weise verwandelt. Die hellen Halme hielten dem Wind aus der Wüste stand, regten sich nicht, erzitterten nicht einmal. Wie weiß glasierte Klingen. Kein Wunder, dass die Elfenbeinpferde es vorgezogen hatten, sich ihr Futter hier oben zu suchen.
    Er wollte gerade zurück zum Teppich gehen, als er etwas hörte. Ein Rascheln, das vom Wind stammen mochte, aber auf- und abschwoll und ganz allmählich näher kam.
    Ein leises Schmatzen drang von unten an den Mauern herauf. So, als saugte sich etwas fest und löste sich wieder, immer und immer wieder. Da wusste er, mit was er es zu tun hatte. Als er zurück zum Teppich blickte, konnte er sie bereits sehen.
    Die Wesen ähnelten den Quallen, die er einmal in den verwaisten Hafenorten am Kaspischen Meer gesehen hatte. Durchscheinend und in der Nacht beinahe unsichtbar. Jede hatte einen Durchmesser von gut einem Schritt, glasige Fladen, die sich von außen an den Zinnen emporschoben und darüber hinwegkrochen. Nicht genau auf den Teppich zu. Auch nicht auf

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