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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Amaryllis für ihren Gesandten oder Spion. Irgendetwas musste er sich einfallen lassen. Er war kein talentierter Lügner, das war er nie gewesen, aber womöglich verschleierten ja der Schmerz und seine Erschöpfung, wie verwirrt er war.
    »Sie hat davon gehört«, brachte er stockend hervor, ohne zu wissen, worauf Amaryllis hinauswollte.
    Der Narbennarr nickte.
    »Aber… sie weiß nicht viel, glaube ich.« Vielleicht war es ein Fehler, aber er redete jetzt schneller, als er denken konnte: »Sie träumt davon. Sie träumt von… so vielen Dingen.« Maryams Alpträume waren immer ein beherrschender Teil ihres Lebens gewesen, hatten ihr Wachsein so sehr bestimmt wie ihren Schlaf. Keine Visionen oder Prophetien, nichts Übernatürliches. Nur ein Gestaltwerden von Ängsten, die sie von Kind an verfolgt hatten.
    »Sie ist in so vielem wie ich«, murmelte Amaryllis.
    »Dann weißt du, dass die Träume keine Antworten geben.« Tarik hielt dem Blick des einen Auges stand, weil er innerlich längst zu Eis geworden war. Sein ganzer Körper tat weh, und ihm war klar, dass er blind durch ein Labyrinth aus Ausflüchten und Mutmaßungen manövrierte. Wie lange konnte das gut gehen?
    Doch Amaryllis nahm nachdenklich seine Hand von Tariks Kinn und gab den vier Dschinnkriegern am Portal einen Wink. Kurze, präzise Befehle wehten als gespenstisches Wispern durch die Halle. Tarik erschienen sie ohrenbetäubend.
    Der Narbennarr wandte sich ihm wieder zu. »Ihr werdet Wasser und Essen bekommen. Und andere Kleidung. Ich kann nicht versprechen, dass sie sauber ist, aber die Menschen, denen sie gehört hat, sind einen schnellen Tod gestorben.« Mit einem verächtlichen Blick auf die blutigen Fetzen an Tariks Körper fügte er hinzu: »Das da macht dich krank. Ist es nicht lächerlich, wie oft ihr Menschen an eurem eigenen Schmutz krepiert? Ihr habt es nicht verdient zu herrschen. Ihr habt es nicht verdient, die Einzigen zu sein, die am Leben bleiben.«
    Ich habe die Welt ohne Dschinne gesehen, hatte er vor Stunden zu Tarik gesagt. Eine Welt der Menschen.
    Aber Maryam hatte in ihren Träumen eine Welt erlebt, in der die Menschen Gefangene waren. Eingekerkert und ohne jede Hoffnung, jemals wieder frei zu sein.
    Du siehst es auch, hatte Amaryllis zu ihr gesagt. Und eben erst: Sie ist in so vielem wie ich.
    Gab es einen Schlüssel zu diesen Widersprüchen? War Maryam tatsächlich noch am Leben? Allein der Gedanke daran sandte fiebrige Hitzewellen durch seinen Körper. Er hatte Mühe, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren.
    Der Narbennarr suchte seine Antworten jetzt anderswo. Er zog die Robe enger um seinen Körper, als fröstelte er plötzlich. Dann wanderte er aus dem Fackelschein zurück in die Schatten am anderen Ende der Rochhalle. Seine Schritte verklangen nach wenigen Augenblicken.
    Vielleicht war er davongeschwebt wie ein Geist.
    Oder aber er stand noch immer dort im Dunkeln, starrte zu Tarik herüber und suchte in seinem Gesicht nach der Wahrheit.

 
Die Rochtränke
 
 
    Und dann wurden sie wieder getragen, hinaus aus der Hängenden Stadt, über den pechschwarzen Schlund hinweg, auf die Wand des gigantischen Höhlendoms zu.
    Im Nachhinein konnte Tarik sich kaum an den Flug erinnern. Wahrscheinlich hatte er für ein paar Minuten das Bewusstsein verloren. Als er wieder klar denken konnte, hing er noch immer im festen Griff zweier Dschinne, die ihn an den Armen durch die Finsternis trugen. Das Rochnest war hinter ihnen zurückgeblieben. Sie schwebten inmitten des Abgrunds, unter ihnen nichts als Schwärze und vereinzelte Lichtpunkte.
    Mühsam drehte er den Kopf und versuchte, einen Blick auf Sabatea zu werfen. Sie baumelte genau wie er zwischen zwei Dschinnen, rotbraun verkrustet von Kopf bis Fuß, aber bei vollem Bewusstsein. Als sie bemerkte, dass er sie ansah, verzog sie die Mundwinkel zu etwas, das ein gequältes Lächeln sein mochte.
    Sie war nicht nur zäh, sondern auch ungeheuer tapfer. Seine Gefühle für sie trafen ihn in diesem Moment einmal mehr vollkommen unverhofft, schmerzhaft in ihrer Intensität und mit der Erkenntnis verbunden, dass seine Sorge nackter Angst um sie gewichen war. Wenn der Narbennarr durchschaute, dass Tarik ihn getäuscht hatte, würde er sie beide töten. Tariks Lüge hatte ihnen einen Aufschub erkauft, mehr nicht. Spätestens wenn Amaryllis ihn mit einer Heerschar seiner Krieger in die Elburzberge schickte, musste sein Schwindel auffliegen.
    Sein Blick flackerte ziellos durch die Dunkelheit.

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