Sturmkönige 01 - Dschinnland
senkrechten Oberflächen. Ihre dünnen Enden rasten über die Felswände, während sich der auffächernde obere Teil stets so verbog, dass die Trichteröffnung aufwärts zeigte. Viele sahen deshalb aus wie geschwungene Hörner, die sich beliebig verlängerten oder verkürzten. Einige Wirbelstürme waren kaum mehr als doppelt mannshoch, andere zogen sich fünfzig, sechzig Meter lang auseinander. Und da waren noch größere, weiter oben unter der Decke: Grotesk gewunden und verdreht, wüteten sie unter den Pulks aus Dschinnen und zerschmetterten ganze Hundertschaften an den Felsen.
Sabatea legte von hinten einen Arm um Tarik und presste sich an seinen Rücken. Sie musste gegen das Heulen der Stürme anbrüllen, damit er sie hören konnte: »Wir müssen aus dem Wasser!«
Er konnte den Blick nicht von den tobenden Tornados nehmen. Im oberen Bereich der Höhle fielen ihnen immer mehr Dschinne zum Opfer.
»Tarik – wir müssen hier raus!«
»Der Rand des Beckens ist zu schmal!« Ihre Beharrlichkeit irritierte ihn. »Wir können uns darauf nicht halten.« Erst recht nicht, wenn die Stürme sie erreichten und auch hier bei ihnen, auf halber Höhe des Grottendoms, die Hölle losbrechen würde.
»Wir müssen es trotzdem versuchen.«
Er drehte sich in ihrer Umarmung, um sie anzusehen. »Sag mal, wovon redest du?«
Sie deutete mit einem Kopfnicken nach rechts.
Dort schwebte Tariks Teppich herrenlos neben der Rochtränke, knapp außerhalb der Reichweite des Spritzwassers, das der Sturzbach in ihrem Rücken aufstieben ließ.
Tarik riss die Augen auf. »Woher – « Er starrte sie an. »Warst du das?«
Sie lächelte flüchtig. »Als ich unter dem Teppich lag, oben in der Halle… Ich hatte gerade genug Zeit, um die Hand ins Muster zu schieben.«
Ein fassungsloses Lachen erhellte seine Züge. »Du hast ihm befohlen, nach uns zu suchen?«
Sie nickte.
»Du hattest einen guten Lehrmeister.« Er stockte kurz und fügte dann hinzu: »Diesen Befehl hätten ihm nicht viele geben können, und schon gar nicht in so kurzer Zeit.«
»Ich hätte mich nicht mal daran erinnert, wenn Junis es nicht unten im Pferch erwähnt hätte.«
Über ihnen wurde das Tosen und Heulen noch lauter. Die Dschinne hatten ihre anfängliche Überraschung überwunden und gingen zum Gegenangriff über. Dabei konzentrierten sie sich auf die breiten Trichteröffnungen der Wirbelstürme, beschossen sie mit Pfeilen und schleuderten ihre Lanzen von oben in die rotierenden Luftstrudel. Was sie damit bezweckten, blieb Tarik ein Rätsel. Als ob sich Wirbelstürme von Pfeil und Bogen vertreiben lassen würden.
»Du hast Recht.« Er gab sich einen Ruck. »Wir müssen schleunigst hier raus.«
Ihr Anflug von Triumph beim Auftauchen des Teppichs wich Enttäuschung. »Wir sind viel zu nass. Er wird uns nirgendwo mehr hinbringen.«
»Versuchen wir’s trotzdem.«
»Junis’ Teppich hat mich abgeworfen«, sagte sie. »Und da war ich nicht halb so nass.«
Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Ich krieg das schon hin.« Aber für wie lange? Sobald genug Wasser ins Muster eindrang, würde der Teppich seine Flugkraft verlieren. Möglicherweise blieben ihnen nur Sekunden, um sicheren Boden zu erreichen.
Sabatea machte keinen Hehl aus ihren Zweifeln. Trotzdem löste sie sich von ihm und kletterte auf den Rand der Tränke. Dort kauerte sie mit angezogenen Knien, die Hände außen neben die Füße gesetzt, leicht schwankend, aber mit bewundernswerter Selbstbeherrschung. Tarik, dem Höhen für gewöhnlich nichts ausmachten, war nicht sicher, ob er es schaffen würde. Seine Schmerzen waren von dem eiskalten Wasser nur für kurze Zeit betäubt worden. Nun brachten sie sich abermals mit Brennen, Ziehen und Pochen in Erinnerung.
Der Teppich schwebte keine Armlänge von der Tränke entfernt über der Leere. Er hatte seine Aufgabe erfüllt und Sabatea gefunden. Nun wartete er auf den nächsten Befehl – und den konnte Tarik ihm nur geben, indem er seine Hand ins Muster schob. Er musste irgendwie dort hinüber.
Die Schlacht unter der Höhlendecke und an den Felswänden verlagerte sich zusehends in die tieferen Regionen. Wirbelstürme und Dschinne kämpften überall an den oberen Wänden und über den Hängenden Städten. Einige waren jetzt nur noch zweihundert oder dreihundert Meter von der Tränke entfernt, genau über ihnen. Tarik meinte, dunkle Punkte in den Trichtern der Windhosen zu erkennen, wie einen Kern, der im Zentrum eines jeden Strudels saß.
Rund um
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