Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
Aufmerksamkeit war das Letzte, das er brauchen konnte.
Trotzdem beschleunigte er seine Schritte, rutschte fast auf den nassen Fliesen aus und wäre um ein Haar über den Rand ins Becken geschlittert. Wieder klatschte jemand Applaus, Gelächter brandete auf. Trunkenheit, das heiße Wasser und die würzigen Essenzen in den Dämpfen machten die Männer und Frauen übermütig. Statt Misstrauen schlug Tarik hysterische Heiterkeit entgegen.
Nachtgesicht lief auf eine der Türen zu, ein breiter Umriss inmitten der Dunstschleier. Tarik durfte ihn nicht aus den Augen verlieren, sonst würde der Mann zu einer Silhouette unter vielen werden. Abermals drohte er auszurutschen. Aus dem Becken griff eine Hand nach ihm, die ihn packen wollte. Tarik trat sie mit aller Kraft von sich, erntete einen empörten Schmerzensschrei und stürmte weiter.
Nachtgesicht verließ das Bad durch die Tür zum Hof und bog draußen unter die Arkaden. Tarik erreichte den Ausgang nur einen Moment später. Er fürchtete schon, den anderen verloren zu haben, als er ihn abermals entdeckte. Ihn zu erkennen war trotz der schlechten Sicht nicht so schwierig, wie er befürchtet hatte: Nachtgesichts Lauf hatte etwas Watschelndes, das ihn auf Anhieb verriet.
Tarik sah Umrisse unter den Arkaden. Wahrscheinlich hatte der Mann, den er verprügelt hatte, längst die Wächter alarmiert und ihnen eine Beschreibung von ihm gegeben. Als einer der wenigen, die völlig bekleidet waren, hatte er wenig Hoffnung, unbemerkt zu bleiben. Erst recht nicht, wenn er einem dunkelhäutigen Dicken nachjagte, der seinerseits genug Aufsehen erregte.
Er sah Nachtgesicht in einer offenen Tür verschwinden und erwartete, dahinter ein weiteres Bad vorzufinden. Stattdessen blieben die Dampfschwaden nach einigen Schritten zurück. Tarik befand sich in einem düsteren Gang, von dem aus weitere Türen in Speisekammern und Vorratsräume führten. Nachtgesicht schien sich hier auszukennen. Mädchen mit Schüsseln und Krügen sprangen erschrocken beiseite, als erst der schwergewichtige Schwarze, dann ein Fremder mit Augenklappe an ihnen vorüberhetzte.
Der Korridor verlief schnurgerade auf einen verriegelten Ausgang zu. Nachtgesicht blickte gehetzt über die Schulter, während er sich an mehreren Riegeln zu schaffen machte. Seine Finger bewegten sich schnell und gezielt, als benutzte er diesen Fluchtweg nicht zum ersten Mal.
»Warte!«, rief Tarik ihm zu. »Ich will dir nichts tun!«
Der Afrikaner löste den letzten Riegel. Mit einem Schnaufen riss er die Tür auf. Aufgebrachte Stimmen folgten Tarik, als er Nachtgesicht nachsetzte, hinaus auf eine Gasse an der Rückseite des Badehauses. Abfälle aus den Küchen und Schankräumen waren zu beiden Seiten an den Lehmwänden aufgehäuft. Dazwischen löchrige Säcke, zerbrochene Kisten und verfaulte Palmblätter, mit denen die Ware auf den Karren der Zulieferer vor der Sonne geschützt wurde.
Jetzt aber war die Gasse verlassen bis auf hungriges Ungeziefer – und die beiden Männer, die sich eine verbissene Jagd die Schneise hinab lieferten: der flüchtende Schwarze in seinem wehenden Lendentuch und gleich dahinter Tarik, der noch einmal schneller wurde, bevor Nachtgesicht die Mündung einer weiteren Gasse erreichen konnte. Die Panik, mit der der Afrikaner das Weite suchte, drängte Tarik den Verdacht auf, nicht der Einzige zu sein, der ihm Fragen stellen wollte.
Er holte jetzt immer zügiger auf. Noch zehn Schritt. Was er für eine Mündung am Ende der Gasse gehalten hatte, entpuppte sich als Knick, der nur in eine Richtung führte, nach rechts, tiefer in den schattigeren Teil des Diebesviertels. Nachtgesicht hatte die Ecke fast erreicht, rutschte auf etwas Verfaultem aus, verlor sein Tuch, packte es im Laufen und setzte schlingernd um die Biegung.
Tarik machte sich bereit für einen letzten Sprung, um den Fliehenden zu packen – als mit einem heftigen Schlag etwas auf seinen Schultern landete und ihn stolpernd nach vorne riss. Taumelnd hielt er sich auf den Beinen und war noch immer nicht sicher, was sich da huckepack wie ein Affe an ihm festklammerte und nun einen hohen, wütenden Laut ausstieß, der verdächtig nach einem Kampfschrei klang.
Er glaubte, es sei ein Kind, so leicht war der Körper, der von einer Mauerkante auf ihn herabgesprungen war. Mit einem zornigen Brüllen wirbelte er herum und warf sich mit dem Rücken gegen die Wand. Ein Stöhnen erklang, als der Angreifer zwischen Tarik und der Mauer eingequetscht wurde. Aber die
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