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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Körper, nutzten denselben Geist. Tarik fühlte sich fremd in sich selbst, als hätte man ihn in den Schädel eines anderen versetzt. Aber dies war sein Kopf, sein Verstand. Trotzdem gab Amaryllis ihm das Gefühl, dass er nichts als ein unerwünschter Gast war.
    Das fratzenhafte Spiegelbild auf den Glaswänden wandte sich im Gehen zu ihm um. »Es hat keinen Sinn, sich zu wehren. Gib auf. Lass es geschehen.«
    »Mach es dir nicht zu einfach«, rief Tarik.
    »Ich bin in dir. Ich bin du. Das hast du gewusst, all die Tage und Wochen lang.«
    »Ich habe dich getötet!«
    »Du hast meinen Körper zerstört. Sonst nichts.«
    Tarik schrie auf, fiel auf die Knie, verbarg das Gesicht in den Händen. Er hatte Mühe, zwischen seinen eigenen Emotionen und denen des Narbennarren zu unterscheiden. Als er die Arme sinken ließ und mit dem einen gesunden Auge auf eine gegenüberliegende Glaswand blickte, stand sein Spiegelbild aufrecht da, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah ihn mitleidig an.
    »Wem soll das helfen?«
    Tarik gab keine Antwort. Da war nur sein Abbild, verzerrt vom Glas. Niemand, der mit ihm redete.
    »Du verschwendest bloß Zeit«, sagte sein grinsendes Gegenüber im Glas. »Uns bleiben nur noch wenige Stunden. Steh auf und geh.«
    Tarik wollte gegen den fremden Willen anschreien, wollte die andere Stimme übertönen. Aber kein Ton kam über seine Lippen. Stattdessen erhob er sich und stolperte weiter.
    Er musste bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, durch enge Gassen, durchdrungen vom grünen Glimmen der zerflossenen Glasfassaden. Manche Gebäude waren zu bizarren Hügeln zerlaufen, hatten beim Zusammensinken Fäden gezogen wie aus Harz, die sich nun als kristallene Netze zwischen den Ruinen spannten. Andere hatten ihre äußere Form kaum verändert, waren nur durchsichtig geworden, Geister jener Häuser, die einmal hier gestanden hatten.
    Und auf allen sah er sein Spiegelbild lächeln und spotten und scheußliche Grimassen ziehen.
    »Was willst du von mir?«, stieß er aus. »Ich hab dich hergebracht. Das war es doch, was du wolltest, zurück nach Skarabapur. Jetzt bist du hier.«
    »Wir sind noch nicht am Ende unseres Weges«, sagte sein Abbild im Glas, die Stimme des Narbennarren in seinem Schädel.
    »Wenn du nur einen neuen Körper brauchst, dann -«
    »Dann hätte ich jeden anderen nehmen können. Und es hätte einige gegeben, die es mir leichter gemacht hätten. Die beiden Frauen im Honig. Es reist sich ungestört in den Hüllen der Toten.«
    »War dein alter Körper deshalb aus Leichenteilen?«
    »Natürlich. Wer will schon ewig die Stimme eines anderen in sich hören?«
    Tarik sah im Vorbeigehen auf die Glastrümmer eines Hauses, das unter seiner eigenen Last eingestürzt war. Es gab viele solcher Ruinen auf seinem Weg, meterhohe Scherbenhaufen, einige so groß wie ganze Straßenzüge. Wenn er einem zu nahe kam, blickte ihm sein Spiegelbild nicht einmal, sondern hundertfach entgegen. Das Gesicht des Narbennarren auf messerscharfen Splittern, ein Mosaik aus grinsenden Fratzen.
    »Ist das alles, was dir einfällt?«, fragte Amaryllis, der jeden seiner Gedanken kannte. »Eine Scherbe nehmen und dir selbst die Kehle durchschneiden?«
    Tarik blieb stehen, starrte in all die fremden, zugleich vertrauten Gesichter. Etwas Hypnotisches lag in dieser Vielzahl blutbespritzter Masken, durchdrungen vom silbergrünen Glaslicht. »Hätte das überhaupt einen Zweck?«
    »Du würdest es mir nur leichter machen«, sagte Amaryllis. »Ich habe es dir schon gesagt: Es ist nicht schwer, einen Toten zu lenken.«
    »Warum tust du es dann nicht? Warum ich? Aus Rache?«
    Sein Spiegelbild lachte ihn aus. Tausend Facetten seiner selbst, tausend verzerrte Gespenster. »Zu Anfang dachte ich tatsächlich, dass das eine angemessene Vergeltung wäre«, sagte der Narbennarr mit all seinen Mündern. »Und ich war neugierig.«
    »Worauf?«
    »Ob du Maryam finden würdest.«
    Tarik nahm eine der Scherben auf, beobachtete sein Abbild darauf, ließ sie fallen und zerrieb sie unter seinem Absatz zu milchigen Glaskristallen.
    Die Gesichter blieben unbeeindruckt. »Ich war neugierig, was du empfinden würdest, wenn dir klar würde, dass sie all die Jahre über am Leben war. Wie hätte ich ahnen können, dass du eine Tote findest? Aber dann war ich gespannt auf dein Leiden, auf den Schmerz, den dir die Wahrheit bereiten würde.« Die Augen seiner Spiegelbilder verengten sich zu Schlitzen. »Aber du hast nicht gelitten. Du

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