Sturmkönige 03 - Glutsand
die beiden Gefangenen im Abgrund verschwanden.
Der Teppich fing sie auf.
Er lag wie ein Brett in der Luft, eine gute Mannslänge unterhalb der Kante. Der Sturz währte kaum zwei Herzschläge, aber Junis kam es viel länger vor. Das Mädchen prallte neben ihm auf, strampelte panisch, hätte sich fast losgerissen und wäre über die Teppichfransen gerollt, hätte er sie nicht mit Gewalt niedergedrückt.
»Halt still!«, fuhr er sie an und musste sie im nächsten Augenblick loslassen, um den Teppich ungehindert lenken zu können. Er wirbelte herum, stieß die linke Hand ins Muster und spürte, wie sich die Stränge um seine Finger schmiegten. Eine Welle der Euphorie jagte durch das Knüpfwerk, loderte seinen Arm herauf und gab ihm die Kraft, die nötig war, um sich zu konzentrieren.
Er achtete nicht auf die Dschinne über der Zikkurat, nicht auf den Fürst auf dem Knochenthron, nicht auf all die anderen fliegenden Kreaturen am Himmel über dem Heerlager. Es war heller Tag, und dennoch hatte es der Teppich nach seiner Flucht hierher zurückgeschafft. Junis selbst hatte ihn nur einen Moment lang gesehen, ein winziger schwarzer Strich, der direkt aus der Sonne kam, schwer zu erkennen für menschliche Blicke, für einen Dschinn inmitten der glosenden Aureole so gut wie unsichtbar. Nachdem Junis ihn wieder aus den Augen verloren hatte, hatte es nur zwei Möglichkeiten gegeben – entweder, er war einer Täuschung erlegen oder aber der Teppich wartete genau dort auf ihn, wo er ihn vermutete.
Er sagte dem Mädchen nicht, dass es ein Glücksspiel gewesen war. Er hatte gehofft, dass das Knüpfwerk unterhalb der Kante schwebte, aber er hatte es nicht mit letzter Sicherheit gewusst.
»Du bist wahnsinnig!«, brüllte sie, als der Teppich aus völligem Stillstand mit halsbrecherischer Geschwindigkeit losjagte.
»Wahrscheinlich«, presste er zwischen den Zähnen hervor, »sonst würde ich nicht versuchen, jemandem das Leben zu retten, der mich gerade erst ans Messer geliefert hat.«
Er ließ das Knüpfwerk stattdessen schnurgerade nach Osten schießen, fort von der Zikkurat und ungeachtet aller Wächter und Krieger, die in diesem Augenblick ihre Verfolgung aufnehmen mochten. Er blickte nicht einmal nach hinten, weil er fürchtete, dass seine eigene Angst sich auf das Muster übertragen könnte. Im Moment aber war ihm, als ströme ein überschwänglicher Triumph aus dem Knüpfwerk seinen Arm hinauf, pure Euphorie und Glücksgefühle darüber, dass es dem Teppich tatsächlich gelungen war, seinen letzten Befehl zu befolgen. Und diese Freude übertrug sich auf ihn selbst, mochte die Kleine in seinem Rücken noch so zetern und fluchen und etwas von ganzen Dschinnschwadronen brüllen, die gerade ihre Spur aufnahmen.
Wir sind schneller!, raunte er ins Muster hinab. Wir sind besser als sie!
Und der Teppich beschleunigte noch einmal, unbeeinflusst von der zweiten Reiterin, die so unterernährt und federleicht war, dass Junis sie auf den Schultern hätte tragen können, ohne dass ihr Gewicht ihn behindert hätte.
Sie überquerten den Tigris hoch über dem Wasser, und auch am Ufer stiegen Dschinne auf, drehten aber gleich wieder bei und sanken zurück zum Boden.
Nur wenige Herzschläge später dämmerte ihm die Wahrheit. Und nun blickte er sich doch noch um, erst ins totenbleiche Gesicht des Mädchens, dann an ihr vorbei auf die Verfolger in ihrem Rücken.
Die Dschinne der Leibgarde waren langsamer als die übrigen Krieger, weil sie die Einzigen waren, die in schweres Rüstzeug gekleidet waren. Ihre Waffen waren größer und schärfer als die der anderen, und im direkten Gefecht hätte er keine Chance gegen sie alle gehabt. Einer Verfolgungsjagd aber waren sie nicht gewachsen, und sie wussten das.
Und dennoch bezweifelte er, dass dies allein der Grund war, weshalb sie mit einem Mal innehielten und einen Atemzug später kehrtmachten.
Es schien, als hätte sie ein Ruf ereilt – der Befehl ihres Meisters oben auf dem Turm. Ein Befehl, der sich wie ein Lauffeuer durch die Pulks des Dschinnlagers brannte, alle Krieger in helle Aufregung versetzte und ganze Horden von Schwarmschrecken und Sandfaltern in den sonnendurchglühten Wüstenhimmel aufsteigen ließ.
Das Mädchen legte von hinten einen dünnen Arm um ihn und klammerte sich fest. Nicht allein wegen des tosenden Gegenwinds oder aufgrund des Schocks, der sie bei ihrem ersten Flug auf einem Teppich nahezu lähmen musste. Vielmehr begriff auch sie, was dort unten gerade
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