Sturmkönige 03 - Glutsand
bemerkt hat. Jibril ist einen anderen Weg gegangen.«
Nachtgesicht seufzte. »Die Sturmkönige.«
»Jibril stand allein vor der Aufgabe, hier bei uns, wo es nach wie vor die Wilde Magie, die Dschinne und ihre Magier gab, einen Gefangenen aus Skarabapur zu befreien. Und damals war er tatsächlich erst elf oder zwölf und nicht wie zuletzt ein erwachsener Mann, der im Körper eines Kindes steckte.« Tarik zuckte die Achseln und verzog vor Schmerz das Gesicht. Impulsive Bewegungen taten ihm nach wie vor höllisch weh.
Erneut war es Nachtgesicht, der den Faden aufnahm. »Also schloss er sich den Rebellen an, verlieh ihnen die Macht über die Stürme und trieb sie in den Krieg gegen die Dschinne.«
»Aber warum ist er erst jetzt nach Skarabapur gegangen?«, fragte Sabatea. »Warum hat er all das nicht viel früher getan? Mag ja sein, dass er anfangs zu schwach war – aber ein halbes Jahrhundert?«
»Zum einen hat er wohl abgewartet, bis die Dschinne die Kettenmagier und einen Großteil ihrer Heere nach Bagdad abgezogen hatten – vielleicht war es sogar das, was er von Anfang an mit seiner Rebellion im Sinn gehabt hatte: ein einfaches Ablenkungsmanöver.« Tarik wusste, dass er sich immer weiter hinaus auf das dünne Eis bloßer Vermutungen wagte. Doch je länger er darüber nachdachte, desto schlüssiger erschien es ihm. »Letztlich muss ihm klar geworden sein, dass er sie nur mit ihrer eigenen Waffe schlagen konnte. Genau wie die Dschinne selbst muss er auf den Augenblick gewartet haben, an dem der Dritte Wunsch die größtmögliche Macht angesammelt hatte. Dann erst konnte er ihn gegen sie einsetzen und genau das tun, was auch sie selbst vorhatten: ein ganzes Volk einfach zum Teufel zu wünschen.«
»Aber«, begann Ifranji düster, »dann hätte er ja sein Ebenbild gar nicht befreit -«
»- sondern ebenso wie die Dschinne als Waffe benutzt«, sagte Sabatea leise. »Und das macht ihn im Grunde genommen nicht besser als sie.«
Tarik verzog das Gesicht, weil er wusste, dass sie Recht hatte. Trotzdem konnte er ihre Missbilligung nicht teilen. »Nach allem, was er in den Jahrzehnten dieses Krieges mit angesehen hatte, muss er begriffen haben, dass es wichtiger war, das Töten von Millionen zu beenden, als um das Schicksal eines Einzelnen zu kämpfen.«
Nachtgesicht rieb sich gedankenverloren das Kinn. »Nur dass er dafür Millionen Dschinne getötet hat, nicht wahr?«
Ifranji warf erbost die Hände in die Höhe. Sie senkte die Stimme und zischte aus dem Mundwinkel zu ihrem Bruder hinüber: »Wie man’s auch macht, niemals bist du zufrieden!«
Tarik aber kreuzte Nachtgesichts Blick, nickte kaum merklich, spürte Sabateas Hand auf seiner und warf den ersten Sand ins Grab.
Die leeren Lager
Lange bevor sie Bagdad erreichten, stießen sie auf Vorboten dessen, was sie erwartete.
Sonderbare Wesen, klobig und muskulös, bewegten sich in trägen Herden nach Süden, manche eingespannt in riesenhafte Geschirre, an denen die Überreste von Belagerungstürmen, Katapulten und fremdartigen Kriegsmaschinen hingen. Andere hatten ihre Lasten abgeschüttelt, seit niemand mehr da war, der sie in Eisen legte und vorwärtspeitschte. Dann waren da Kreaturen, groß wie ganze Dörfer, auf deren Schildkrötenpanzern Aussichtskörbe und Wehrgänge errichtet worden waren. Und schließlich sahen sie in der Ferne Sandfalter und Schwarmschrecken, die keinerlei Interesse an den Reisenden zeigten. Die Wilde Magie war nicht erloschen, und ihre Kinder würden weiterhin die Wüsten, Gebirge und Meere bevölkern.
Nach den befreiten Dienerwesen der Dschinne passierten sie die ersten verlassenen Außenposten, dann die Ausläufer der riesigen Heerlager. Es würde Jahre dauern, bis die Wüste alle Spuren verweht und unter den Dünen begraben hatte. Als Erstes würden die unzähligen Feuerstellen verschwinden, dann die Knochen und anderen Nahrungsreste. Zurückgebliebene Kriegsmaschinen mochten von den Armeen des Kalifats abtransportiert oder von Heimkehrern zerstört werden; vielleicht würde man ein paar der Überreste zum Bau neuer Hütten verwenden. Irgendwer würde gewiss auf den Einfall kommen, einige der Fundstücke zu Heiligtümern zu erklären, aus Furcht vor einer Rückkehr der Dschinne. Es würde Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte dauern, bis diese Ängste endgültig der Vergangenheit angehörten.
Sie kamen an uralten Ruinen vorbei, die von den Dschinnen als Stützpunkte benutzt worden waren. Die Stufen einer Zikkurat waren
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