Sturmkönige 03 - Glutsand
übersät mit Rüstzeug, das die Leibgarden der Dschinnfürsten getragen hatten. Wie die verstreuten Waffen würden auch Panzer und Harnische irgendwann vom Wetter und der Wüste zerstört werden. Findige Händler mochten einige aufsammeln, verkaufen oder aus dem Eisen Werkzeuge schmieden. Aber das meiste würde einfach vergessen werden, von Stürmen verweht und vom Sand begraben.
Bagdad erschien am Horizont, davor der Trümmerberg einer geborstenen Glasscholle. Und nun sahen sie auch die ersten Trecks von Flüchtlingen, die über eine Woche nach dem Ende des Krieges den Weg in ihre Heimat antraten. Immer größere, immer dichter bevölkerte Zeltlager breiteten sich unter ihnen aus, die meisten nahe am Tigrisufer. Die Zustände waren katastrophal. Tausende drängten sich aneinander, und der Gestank, der in den blauen Himmel aufstieg, raubte Tarik und den anderen den Atem.
»Das müssen alles ehemalige Sklaven der Dschinne sein«, rief Sabatea, die allein auf dem Elfenbeinpferd ritt.
Tarik lag mit seinen geschienten Beinen hinten auf dem Teppich, während Ifranji lenkte und Nachtgesicht neben ihr sorgenvoll in die Tiefe blickte. Das Knüpfwerk flog mit dieser Last nur langsam, aber das Zauberpferd weigerte sich, einen der anderen zu tragen.
Das Versiegen der Dschinnmagie bedeutete auch das Ende der Besessenheit, die den Männern und Frauen den Verstand geraubt hatte. Dennoch war Tarik froh, dass sie die Lager vor Bagdads Mauern nicht am Boden durchqueren mussten. Hier oben in der Luft fiel es leichter, sich vorzumachen, dass alles wieder gut werden würde und dass es für die Menschen dort unten Hoffnung gab. Sie benahmen sich nicht mehr wie Tollwütige, aber die Apathie, die viele von ihnen befallen hatte, war selbst in dieser Höhe spürbar.
Ifranji warf einen Blick über Bagdads Dächer und Zwiebeltürme, über Ruß und Asche der Schlammvulkane auf den ehemals goldenen Kuppeln, über das dicht gedrängte Elend in den Straßen. »Lange bleib ich hier nicht«, murmelte sie.
Ihr Bruder horchte auf. »Zurück in die Wüste?«
»Wie wär’s mit dem Norden?«, fragte sie. »Nach Byzanz?«
Tarik wartete auf den unvermeidlichen Streit der beiden, aber die Geschwister verfielen wieder in Schweigen, während das Knüpfwerk sie über das Gassenlabyrinth der Runden Stadt trug, durch Schwärme von Teppichen, die wieder ungehindert aufsteigen durften. Sie ritten auf Wogen aus rumorenden Stimmen, trieben auf den Gerüchen zu vieler Menschen auf zu engem Raum. Manche starrten mit offenen Mündern zu der Frau auf dem Zauberpferd empor.
»Da unten ist es«, sagte er und zeigte auf eines der zahllosen Flachdächer, weit ab vom Palast und seinen Gärten.
Wenig später landeten sie auf dem Dach der Knüpfer-Werkstatt, erst der Teppich, dann, nach einer Schleife über dem Haus, auch das Elfenbeinpferd. Sabatea glitt von seinem Rücken und kam zu den anderen herüber. Die Sorge schien seit Tagen nicht mehr aus ihren Augen zu weichen, sobald sie Tariks Verbände und die geschienten Beine begutachtete. Er bemühte sich um ein Lächeln. Es fiel nicht schwer, wenn er sie ansah.
Unten im Haus rumorte es. Jemand fluchte alarmiert über das Hufgetrappel auf dem Dach, dann wurde die Falltür aufgestoßen.
Kabirs faltiges Gesicht schob sich durch die Öffnung. Er sah erst das geflügelte Pferd, dann die vier abgerissenen Gestalten. Er grinste, als er Tarik erkannte.
Statt einer Begrüßung beugte er sich zurück und rief über die Schulter ins Haus hinab:
»Komm schon rauf, beeil dich! Dein Bruder ist zurück!«
Viel später an diesem Tag, nach dem Wiedersehen auf dem Dach, dem Transport von Tarik hinab ins Haus – unter Flüchen und Schmerzen und einem Anflug von Bewusstlosigkeit, der ihm nicht unwillkommen war –, nach dem Besuch eines überarbeiteten Heilers, den Kabir hatte bestechen müssen, nach Umarmungen und nervösem Gelächter, bat Tarik die anderen, ihn mit Junis allein zu lassen.
Erst dann berichtete er ihm ruhig und mit wohlüberlegten Worten, was mit Maryams Leichnam geschehen war und wo sie ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Und nach langem Schweigen erzählte Junis schließlich von dem, was ihm im Lager der Dschinne widerfahren war, von Jibrils Befreiung und wie sich alle Heere der Dschinne gegen Bagdad in Bewegung gesetzt hatten – und von einem Augenblick zum nächsten verschwunden waren, noch bevor der erste Pfeil verschossen, die erste Lanze geschleudert, das erste Pech von den Zinnen gegossen
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