Sturms Flug
Haltegriff zu packen. Trotzdem wurde er gegen den Harley-Davidson-Mann geschleudert, der bereits um diese Uhrzeit nach Bier stank. Die Blondine jauchzte hochfrequent.
Doch nur für eine Sekunde, danach geschah das Schreckliche: Der Griff, an dem sie sich mit der Linken festhielt, während sie mit der Rechten immer noch den Fotoapparat hielt und knipste, brach ab! Einfach so, als wäre er nicht mit der Karosse verschweißt, sondern bestenfalls mit Spucke angeklebt.
Die Wasserstofffrisur taumelte nach hinten, aus dem Jauchzen wurde ein angsterfülltes Gellen. Der Fotoapparat, eine augenscheinlich teure Spiegelreflexkamera, flog durch die Luft. Ihre Besitzerin ruderte mit den Armen, versuchte panisch, irgendetwas in die Finger zu bekommen, um sich daran festzuklammern, doch vergebens. Schreiend ging sie am Fahrzeugheck über Bord, mit dem Rücken voran, bei einer Geschwindigkeit, die schwer zu schätzen war, aber sicher nicht unter vierzig Stundenkilometern lag. Für die Dauer einer Sekunde sah Bernd ein Paar rosa Füße mit lackierten Nägeln in der Luft zappeln, dann war die Blondine verschwunden.
Jesus und Maria , ging es ihm durch den Kopf, die hat sich das Genick gebrochen!
Er schluckte, als ihm bewusst wurde, dass er an ihrer Stelle wäre, wenn das Scheusal ihn nicht von seinem Platz vertrieben hätte.
Am späteren Abend, nach dem Essen, das Bernd wie üblich allein zu sich genommen hatte, stand er auf dem Balkon seines Zimmers. Er betrachtete den dunkelroten Horizont. Die Sonne war soeben versunken, und der Anblick stimmte ihn nachdenklich, ja, sogar melancholisch.
»Und?«, ertönte neben ihm eine Stimme aus dem Nichts. Sie klang zurückhaltend, außerdem ein klein wenig heiser. »Wie fandest du die Safari?«
Er zuckte zusammen, blickte sich verwirrt um, bis ihm bewusst wurde, dass jemand auf dem Nachbarbalkon stand. Das heißt, eigentlich war es nicht der Nachbarbalkon, da sich jeweils zwei Zimmer einen Balkon teilten. Zwischen den beiden Hälften befand sich lediglich eine brusthohe Begrenzung aus Korbgeflecht. Als er erkannte, wem die Stimme im Halbdunkel gehörte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Unwillkürlich umklammerten seine Finger das Geländer.
»Äh …«, stammelte er verlegen. »In Wirklichkeit hat die Safari gar nicht stattgefunden. Ich meine … Ich will sagen, sie war vorbei, bevor sie angefangen hat.« Er kicherte, und bereits im gleichen Moment wurde ihm klar, wie blöde das klingen musste.
Meg Ryan, die Frau, die am Nachmittag mit dem Typ im Karohemd abgezogen war, wirkte amüsiert. Zumindest hatte er den Eindruck, doch das war schwer zu erkennen, da ihre Gesichtszüge im Halbdunkel verschwammen. Nur noch das ferne Glimmen des Horizonts sowie die Laternen der Hotelanlage sorgten für schummriges Licht. Trotzdem erkannte er in ihr eine wunderschöne Frau, auch wenn sich auf den zweiten Blick offenbarte, dass sie mit Meg Ryan lediglich die Frisur gemein hatte, und sogar diese war wesentlich kürzer als bei dem Hollywoodstar.
»Jemand ist gestürzt«, hörte er sich sagen. »Vom Jeep runter, bei einem Affentempo. Fünfzig Sachen, schätze ich. Eine Touristin, gleich nach dem Losfahren. Der Reiseleiter hat die Tour daraufhin abgeblasen.« Kannst du dich auch vernünftig ausdrücken? , tadelte er sich in Gedanken. Bei dem Gestammel muss sie dich für einen Analphabeten halten .
Wenn dem so war, ließ sie es sich nicht anmerken oder gar davon abschrecken. Stattdessen kam sie näher, bis sie dicht neben ihm stand, nur durch die Korbbegrenzung von ihm getrennt. Dort stützte sie sich auf das Geländer, lehnte sich leicht hinüber, schaute ihn kurz an. Danach wanderte ihr Blick in die Ferne.
»Hört sich ja schlimm an«, sagte sie. »Wie ist das denn passiert?«
Er erzählte ihr, wie sich der Unfall zugetragen hatte, wobei es ihm tatsächlich gelang, in ganzen Sätzen zu sprechen. Er berichtete, dass ein abgebrochener Haltegriff die Ursache für den Sturz der Frau war, verschwieg jedoch, dass dieser Griff zu seinem ursprünglichen Platz gehört hatte. Dieses Detail sparte er aus, um unangenehme Fragen nach dem Grund für den Platztausch zu vermeiden, denn er wollte unter keinen Umständen wie der Waschlappen dastehen, für den er sich selber hielt.
»Sie hat geschrien wie am Spieß, als die Leute vom Hotel sie hineingetragen haben. Und dann sind fast drei Stunden vergangen, bis ein Krankenwagen eingetroffen ist. Der hat sie schließlich mitgenommen.«
»Übel«, kommentierte sie
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