Sturms Flug
sauste auf sie herab, ein Lichtreflex blitzte auf.
»Nein!«, schrie sie in Erwartung des Schlages, der ihr den Kopf vom Rumpf trennen würde. Noch vor Kurzem hatte sie ernsthaft an Selbstmord gedacht, da sie die Vorstellung an ein AIDS -Schicksal nicht ertragen konnte, doch in diesem Moment wollte sie leben.
Genau in der Sekunde, in der sie sich instinktiv zur Seite werfen wollte, spürte sie, wie die Klinge an ihrem Kopf vorbeifuhr und die Strähnen durchschnitt, die Asad um den Zeigefinger gewickelt hatte.
Ein kastanienfarbenes Büschel fiel vor ihr auf die Fliesen, dann noch eins und noch eins. Asad säbelte mit der übergroßen Klinge herum wie ein geisteskranker Pudelfriseur.
Schließlich war es vollbracht, und er reckte einen Haarstrang empor, als präsentierte er einem begeisterten Sportpublikum die hart erkämpfte Meisterschaftstrophäe.
Die Menge tobte, einer hob ein Büschel auf und presste es sich unter die Nase, um damit einen Schnurrbart zu imitieren.
Mara wimmerte leise und tastete nach ihrem Kopf. Ihre Hand zuckte zurück, als sie realisierte, was der Mistkerl angerichtet hatte. Der Pöbel, dieser Haufen rotznasiger Pimpfe in Tarnhosen und ausgelatschten Sandalen, skandierte einen Sprechchor auf Somali.
Sie kam sich vor wie skalpiert. Doch wenn sie geglaubt hatte, dass man sie damit in Frieden lassen würde, so hatte sie sich getäuscht. Das Schlimmste stand ihr noch bevor, denn Asad hatte Blut geleckt. Er wollte mehr. Viel mehr.
Starr vor Entsetzen sah sie, wie er seinen Hosenstall öffnete.
Kapitel 25
Bernd hätte heulen können, denn sein Fluchtplan löste sich mit einem Schlag in Wohlgefallen auf.
Das lag daran, dass die Gangway zwar bereitstand, aber noch nicht an das Flugzeug angedockt war. Zwischen dem Rumpf der Maschine und der Gangway klaffte ein Spalt von mindestens vier, wenn nicht sogar fünf Metern.
Erschrocken taumelte er zurück, gegen Ernestine und Grietje, als er sich klarmachte, dass es unmittelbar vor seinen Schuhspitzen in die Tiefe ging. Verdammt, dass der Ausstieg eines normalen Verkehrsflugzeuges derart hoch über dem Boden lag, hatte er sich früher nie bewusst gemacht. Das war fast wie der Blick vom Fünfmeterbrett im Freibad, den er aus der Erinnerung an seine Tage als Halbstarker kannte. Damals war er nur gesprungen, um sich vor seinen Freunden nicht lächerlich zu machen.
»Raus mit ihm!«, befahl Asad, während er sich an den Frauen vorbeizwängte. Gemeint war der Leichnam des Easy Rider. »Was ist los, Geigenmann? Worauf wartest du?«
»Da ist keine Gangway, Hoheit. Das heißt, sie steht bereit, ist aber noch nicht …«
»Was faselst du da? Mach Platz!«
Unvermittelt erhielt er einen Stoß ins Kreuz, der ihn in eine Vorwärtsbewegung zwang. Fatal, denn keinen halben Schritt entfernt war der Abgrund. Er schrie. Instinktiv versuchte er, nicht vornüberzukippen, indem er blitzschnell das rechte Bein nach hinten wegstreckte und wild mit den Armen ruderte. Das bremste den Vorwärtsdrang kaum, doch zumindest bekam er irgendwie den Griff zu fassen, mit dem der Türmechanismus betätigt wurde. Der war allerdings ein schlechter Rettungsring, da er aus gebürstetem Aluminium bestand, das glatt war und ihm durch die Finger rutschte.
Sein Oberkörper drohte vornüberzukippen.
In allerletzter Sekunde schoss eine Hand auf ihn zu. Sie hatte Ringe an jedem Finger und schwarz lackierte Nägel. Die Finger packten seinen Oberarm, krallten sich in den Stoff des Hemdes, bis die Nähte ächzten.
Kraftvoll zog ihn Ernestine in ihre Richtung. Das reichte, um ihm das Gleichgewicht zurückzugeben und vor dem Absturz zu bewahren.
»O Gott«, entfuhr es ihm, als er wieder festen Stand hatte. »O mein Gott!« Er bekreuzigte sich, obwohl er weder fromm war noch ein eifriger Kirchgänger.
Asad stieß einen mitleidigen Laut aus. »Der hätte dabei zugesehen, wie du dir sämtliche Knochen brichst. Bedank dich lieber bei der Krähe. Aber vorher wirst du den Kadaver entsorgen!« Er stieß den Leichnam mit dem Fuß an.
Bernd blinzelte in die Tiefe. Bis vor wenigen Minuten war er davon ausgegangen, dass er den Toten über die Gangway nach draußen tragen würde, doch das war hinfällig. Fragend schaute er den Afrikaner an. »Aber, Hoheit, bei allem Respekt, wir können ihn doch nicht einfach … hinunterwerfen.«
»Und wieso nicht?«
Weil das barbarisch ist , schoss es ihm in den Sinn, wohl wissend, dass Asad ihn für eine solche Antwort verhöhnt hätte.
»Weil …«
Ihm fehlten
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