Sturms Jagd
gut aussehende Mann lachte, dann stopfte er sich eine riesige Ladung Pilzragout in den Mund, allerdings nicht aus Hunger oder Appetit, sondern vor schierer Verlegenheit. Er war als Letzter erschienen, vor einer guten Stunde, als die anderen die finalen Vorbereitungen bereits abgeschlossen hatten: Überprüfung der Ausrüstung, des Wagens, der Waffen.
»Ja«, log er kauend, »sie wird uns nicht in die Quere kommen.«
Die zweite Aussage stimmte, denn wie er gestern Abend herausgefunden hatte, wusste Tamara rein gar nichts, was die Operation gefährden konnte, und darum hatte er sie am Leben gelassen. Darum und weil er sich zu ihr hingezogen fühlte, zwar nicht so innig und blauäugig wie sie sich zu ihm, aber zumindest genug, um ihn davon abzuhalten, ihr etwas anzutun. Dabei wäre es so einfach gewesen, sie auszuschalten, vorhin etwa, als er beim Telefonieren hinter ihr gestanden hatte, mit den Händen um ihren Hals. Schade, dass sie ihm nicht unter normalen Umständen über den Weg gelaufen war, sondern dass er sich an sie heranmachen musste, um sie auszuhorchen, was allerdings vollkommen fruchtlos geblieben war. Anfangs hatte er befürchtet, sie würde ihn durchschauen, und vielleicht hatte sie ihn sogar im Verdacht gehabt, irgendetwas im Schilde zu führen, doch dann unterlag ihr Verstand ihrem Herzen, und sie hatte sich fallen gelassen.
Egal, Smertin würde davon nichts mitbekommen, da er schon so gut wie in St. Petersburg weilte und nie wieder zurückkehren würde, und er selbst, Tom, lief ebenfalls nicht Gefahr, Tamara jemals wiederzusehen, denn seine Zukunft würde ebenfalls nicht in diesem Land stattfinden.
»Sind die Pfifferlinge nach eurem Geschmack? Und das Knoblauchbrot? Ihr müsst unbedingt auch etwas von dem Kaviar probieren! Echter Beluga, versteht sich.« Smertin schaute in die Runde, lächelte, nickte. Schließlich blieb sein Blick an Hungerturm hängen, der ihm genau gegenüber saß. Der Russe lächelte. » Chudojobina , ich bitte dich, sei nicht stur, iss. Mir zuliebe.«
Der lange Kerl hob abwehrend die Hände. Er war erst vor drei Monaten zu Smertins Truppe gestoßen, doch auch ihm hätte spätestens jetzt einleuchten sollen, dass es ratsam gewesen wäre, zumindest so zu tun, als finde er Gefallen an dem grotesken Frühstück. Smertin gebrauchte niemals Wendungen wie: »Ich bitte dich« oder »mir zuliebe«. Dass er es jetzt tat, war ein Alarmsignal, aber Hungerturm verstand es nicht. Seufzend schob er den Teller von sich. »Danke. Es riecht vorzüglich, und es sieht auch gut aus, aber …«
Das war der Moment, in dem Smertin explodierte. Er schnellte hoch und machte einen gewaltigen Satz über die Tafel. Porzellan und Silber klirrten, Geschirr ging zu Bruch, eine Flasche fiel scheppernd herunter.
Der Russe sprang den Verweigerer an wie eine Raubkatze und riss ihn glatt vom Stuhl. Gemeinsam gingen beide zu Boden. Smertin gewann sofort die Oberhand und kam auf seinem rücklings liegenden Widersacher zu sitzen.
»Du spuckst auf meine Gastfreundschaft?« Sein Gebrüll war hysterisch. »Du wagst es? Raz’joba! Sukin Sin! Pidaras! «
Mit jedem Schimpfwort verpasste er dem langen Mann eine Ohrfeige, die dessen Kopf hin- und herfliegen ließ. Hungerturm wehrte sich nicht, natürlich nicht, sondern bemühte sich lediglich, sein Gesicht mit den Armen zu schützen. Dabei wischte er Smertin die Sonnenbrille vom Kopf, unabsichtlich, und in der nächsten Sekunde wurde allen Anwesenden klar, warum er die Brille zu jeder Tages- und Nachtzeit trug:
Victor Smertin war ein Albino!
Seine Brauen waren schneeweiß, da ihnen jegliche Pigmentierung fehlte, und die Iris seiner Augen war wässrig grau. Sofort riss er die Hände vor das bleiche Totenkopfgesicht. Offenbar war er extrem lichtempfindlich, denn bereits die schwache Beleuchtung der Deckenfluter machte ihm so sehr zu schaffen, dass er gepeinigt aufschrie. Er ließ von seinem Opfer ab und beeilte sich, die Brille wieder auf die Nase zu setzen. Dabei vollführte er überhastete Bewegungen, die ungemein weibisch wirkten.
Schließlich erhob er sich, und mit der Brille kam seine gewohnte Härte zurück. »Kein Wort!«, blaffte er in die ehrfürchtig staunende Runde. Dann, in Hungerturms Richtung: »Steh auf und friss die verdammten Pilze, oder ich stopf sie dir in den Schlund!«
Und während alle schwiegen und Hungerturm dabei zusahen, wie er seine verdammten Pilze fraß, fiel Gigolo auf, dass Smertin reichlich gegessen hatte, nur das von ihm so hoch
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