Sturms Jagd
Mann: »Wollen Sie einen Blick auf das Opfer werfen, Herr Kunze?«
Der Alte nickte. »Deshalb bin ich hier. Sie kommen ebenfalls mit, Bodo! Frau Sturm, wären Sie so gut?«
Er schritt energisch voran, Mara und Lohmann folgten.
Bereits in drei Metern Entfernung stieg ihnen der widerwärtige Gestank von Fäkalien in die Nasen. Der Unterleib und die Beine des Opfers waren mit Exkrementen beschmiert, während der Kopf nicht zu erkennen war, da er im Schatten eines Beamten lag, der genau in diesem Augenblick vor einen Scheinwerfer trat.
Mara griff in ihre Handtasche und suchte nach dem winzigen Döschen mit Tiger-Balm, das sie für gewöhnlich bei sich trug. Leider war das an diesem Morgen nicht der Fall, da es sich in ihrem Rucksack befand, den sie normalerweise anstatt der Handtasche benutzte. Also musste ausnahmsweise ein Labello-Stift herhalten, das war zwar nicht optimal, aber immer noch besser als nichts. Anstatt ihre Lippen zu balsamieren, schmierte sie sich reichlich Labello unter die Nase. Schweigend reichte sie den Stift an Lohmann weiter.
Der wusste nicht, was er damit anfangen sollte, und gab ihn sofort wieder zurück. »Wo kommt der Kot her?«, flüsterte er.
»Mit dem Tod erlahmt die Muskulatur, also auch der Schließmuskel. Wenn der Darm voll ist, entleert er sich von selbst. Gleiches gilt für die Blase.«
Die Luft stank nach Kloake und Verwesung, Fliegen waren überall, die Leiche war immer noch nicht richtig zu erkennen. Allerdings konnte Mara aus ihren Umrissen folgern, dass sie korpulent war. Hoffnung regte sich, denn Laura war ihr als schlank beschrieben worden.
»Nicht durch den Mund atmen, Junior«, forderte sie Lohmann auf. »Wenn du das tust, fühlt sich deine Zunge morgen wie ein Drahtschwamm an.«
»Oh.«
Dann waren sie nahe genug, um Einzelheiten zu erkennen.
Vor ihnen lag ein ziemlich dickleibiger Mann Mitte fünfzig. Er hatte eine Glatze, und sein Mund war zu einem stillen Schrei geöffnet. Darin wimmelte es vor Fliegen, vor ekligen, fetten, bläulich schimmernden Brummern. Um die Mundwinkel und das Kinn des Toten hatte sich die Haut dunkel verfärbt, während die wabblige Brust und der Speckbauch mit Erbrochenem besudelt waren.
Lohmann würgte. Verständlich, denn der Gestank war, im wahrsten Sinnes des Wortes, atemberaubend, ganz zu schweigen von dem Anblick des Leichnams.
Obwohl in Mara das altbekannte Gefühl der Beklommenheit hochstieg, dankte sie dem lieben Gott, nicht Laura vor sich zu sehen. Allerdings glaubte sie, den Toten zu kennen. Sie musterte sein rundes Gesicht, dessen Hängewangen mit geplatzten Äderchen übersät waren. Sein Blick war gebrochen, und seine Gesichtszüge waren grotesk verkniffen. Wie es aussah, hatte er gelitten, bevor er gestorben war.
In Mara wuchs die Gewissheit, ihm zu Lebzeiten über den Weg gelaufen zu sein, und das vermutlich sogar mehr als einmal. Nur wo? »Er kommt mir bekannt vor«, sinnierte sie.
»Klar tut er das.« Westerhausen hatte sich zu ihnen gesellt. »Das ist Werner Baumeister. Oder war Werner Baumeister, besser gesagt. Er hatte im Präsidium die Asservatenkammer unter sich. War schon seit geraumer Zeit krankgeschrieben, wie ich hörte. Nun, an einer Krankheit ist er jedenfalls nicht gestorben.«
Lohmann erinnerte sich an seinen Besuch der Asservatenkammer am vergangenen Morgen und an die schwer bewaffneten Beamten der Bereitschaftspolizei, die dort den Abtransport der Beweisstücke bewacht hatten.
Kunze stieß derweil einen leisen Pfiff aus. »Polizistenmord also. Wie ist die Spurenlage?«
»Könnte schlechter sein«, antwortete Westerhausen. »An der Leiche befindet sich eine Menge fremde DNA.«
»In welcher Form?«
»Haare. Wir fanden sie sowohl an seinem Körper als auch an dem Teppich, in den er eingewickelt war. Nun, da er eine Glatze hatte, muss es wohl Fremdhaar sein.«
»Mensch oder Tier?«, wollte Kunze wissen.
»Mensch, auf jeden Fall Mensch, das kann man mit ziemlicher Sicherheit schon jetzt sagen. Es ist etwas kürzer als schulterlang und rötlich braun.« Er deutete auf Mara. »Etwa deine Farbe. Mal sehen, was das Labor feststellt.«
Kunze nickte. »Gut. Todeszeitpunkt?«
»Kann ich nicht sagen. Da muss die Rechtsmedizin ran.«
»Wenigstens ungefähr?«
Westerhausen verzog widerwillig das Gesicht. »Vielleicht vor zwölf Stunden, vielleicht vor zehn. Ich weiß es wirklich nicht. Jedenfalls haben wir Körpertemperatur und Außentemperatur festgehalten …«
»Todesursache?«
»Der Notarzt, der zuerst
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