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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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nur Glück, das Sönke nicht hier ist, der hätte dich aus dem Haus geprügelt. Aber vielleicht kommt er ja bald wieder.«
    Damit sprang er von der Mauer herunter und lief los. Anneke blieb wie festgewurzelt stehen. Sie konnte den Hass, der in Hinrichs Worten gelegen hatte, nicht fassen.
    Plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen.
    *
    Zurück im Kaufmannshaus begegnete ihr Roland Martens.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er, verwundert, seine Tochter um diese Zeit ins Haus kommen zu sehen.
    Anneke reagierte nicht darauf. Noch immer liefen ihr die Tränen übers Gesicht und sie schaffte es gerade, nicht laut zu schluchzen. Ihr Vater sollte sie nicht so sehen.
    Sie lief die Treppe hinauf und verschwand in ihr Zimmer. Dort stellte sie den Hühnerkäfig auf den Boden und streute der Henne ein wenig Kleie hin. Ein paar Tränen tropften dazwischen, aber dem Tier war es gleich.
    Schwere Schritte kamen wenig später die Treppe hinauf und machten vor ihrer Tür halt.
    Anneke wusste, dass es der Kaufmann war. Natürlich ließ er sich nicht einfach ignorieren.
    Sie setzte sich aufs Bett und wartete, bis er eintrat.
    »Anneke«, sagte er und blieb in der Tür stehen. »Was ist denn los?«
    Das Mädchen drehte den Kopf zur Seite, denn noch immer brannten ihre Wangen und Augen.
    »Hinrich«, seufzte er, schloss dann die Tür hinter sich und kam zu ihr.
    Selbst dann, als er sich neben sie hockte, sah sie ihn nicht an. »Vielleicht wäre es besser gewesen, Ihr hättet mich in der Hütte gelassen.«
    »Nein, das wäre es nicht«, widersprach er ihr und strich über ihre Wange. »Ich weiß, was der Grund für die Prügelei war. Hinrich hatte dein Huhn versteckt, nicht wahr? Es war mir aufgefallen, als ich vorhin in deine Kammer gekommen bin und dich nicht vorgefunden habe. Ich wollte dich gerade suchen, aber da kamst du mir schon entgegen.«
    »Warum hasst er mich so?«, fragte Anneke nun leise. »Ich habe ihm doch nichts getan! Und er kannte auch meine Mutter nicht. Warum erlaubt er sich dann ein Urteil über uns?«
    Roland Martens wusste offenbar, welches Urteil das war.
    »Die Menschen urteilen, Anneke, über alles und jeden. Auch du tust das. Lass dir gesagt sein, Hinrich ist kein schlechter Bursche. Er liebte seine Mutter sehr. Der Gedanke, dass ich ihr untreu geworden bin, ist für ihn schwer zu ertragen. Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihr beide euch eines Tages zusammenrauft.«
    Noch vor ein paar Stunden hätte Anneke erwidert, dass das nicht an ihr liegen solle. Aber nun schwieg sie. Dafür, dass er ihre Mutter eine Hure genannt hatte, hasste sie Hinrich abgrundtief.
    »Stimmt es, dass meine Mutter Euch verführt hat?«
    Anneke sah ihn dabei nicht an, denn diese Frage war ihr selbst unangenehm.
    Der Kaufmann war zunächst sprachlos. Aber er schien zu wissen, dass diese Worte nicht auf ihrem Mist gewachsen waren.
    »Deine Mutter war die schönste Frau, die ich kannte«, begann er ruhig. »Und vielleicht hatte sie auch den besten Charakter aller Menschen. Vielleicht hat sie mich verführt, aber wenn, dann nur durch die vielen guten Eigenschaften, die sie hatte. Leider war ich, als ich sie kennenlernte, bereits verheiratet. Meine Frau wurde mir an die Hand gegeben, als ich siebzehn war. Zwei Handelshäuser wurden durch unsere Ehe verbunden.«
    »Dann habt Ihr sie nicht geliebt?«
    »Auf gewisse Art schon. Wir hatten viel Respekt voreinander und empfanden auch Zuneigung. Deine Mutter jedoch habe ich mit dem Herzen und dem Verstand geliebt.«
    Der Kaufmann streckte die Hand nach Anneke aus und strich ihr über die Wange.
    »Du bist deiner Mutter so ähnlich, Anneke, in allem.«
    Darauf sagte sie nichts, sondern hielt weiterhin den Kopf gesenkt.
    Der Kaufmann sah ein, dass es besser war, sie nun in Ruhe zu lassen.
    »Gute Nacht, Anneke«, sagte er und verließ den Raum.
    Sie blieb noch eine Weile auf dem Bett sitzen und dachte über seine Worte nach. Dann machte sie sich daran, sich aus ihrem Kleid zu schälen.

Der Rattenkönig
Mai 1628
    Der Mai zog mit zartem Grün und bunten Bändern ins Land. Obwohl die Menschen Maibäume aufstellten und Fiedelspieler zum Tanz aufspielten, geriet die Bedrohung, die auf Stralsund zukam, nicht in Vergessenheit. Die Verteidigungsanlagen waren weiter gewachsen und die Wachen an den Toren verstärkt worden. Wenn Anneke und Marte zum Strand hinaus liefen, blickten sie in die angespannten Mienen der Männer, und oftmals erhielten sie den Ratschlag, in der Stadt zu

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