Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
Vom Netzwerk:
nach einer Weile konnten die Toten ihren Familien übergeben werden. Die Totenglocken hallten weit über Stockholm und viele Menschen schlossen sich den Trauerzügen auf ihrem Weg zu den Kirchhöfen an.
    In der Schenke war es still. Nur wenige Menschen fanden sich im Goldenen Löffel ein und unterhielten sich wispernd über den Untergang der Vasa.
    Magnus, der sonst über alles murrte, schwieg. Gitta arbeitete wie immer in der Küche und Inga verkroch sich in den oberen Räumen des Hauses. Niemand erwähnte ihren Sohn und Anneke wagte nicht, nach ihm zu fragen. Ihr war schwer ums Herz und sie konnte kaum die Tränen zurückhalten, wenn sie auf den leeren Platz schaute, der früher einmal Tjorven gehört hatte.
    Ein kleiner Teil in ihr hoffte noch immer, dass er wieder zurückkommen würde. Aber mit jedem Tag, der verging, wurde die Hoffnung kleiner.
    Nach einer Weile hörte sie auf sich einzureden, dass Tjorven auf ein anderes Schiff gegangen sein könnte. Es brachte nichts, sich selbst zu belügen.
    Schließlich war es wieder Sonntag. Diesmal wartete Anneke vor der Schenke auf Ingmar.
    Ein paar Leute gingen vorbei, sie hörte Fetzen ihrer Unterhaltungen, schenkte ihnen aber keine Beachtung. Die einzigen Neuigkeiten, auf die sie dringend wartete, waren jene aus dem Svensson-Haus.
    Schließlich bog der junge Mann um die Ecke.
    »Ingmar, endlich!«, rief sie aus und umschloss seine Hände mit den ihren. »Gibt es etwas Neues?«
    »Es ist so gekommen, wie ich befürchtet habe. Sie haben ihn heute früh mitgenommen«, berichtete er bedrückt. »Er soll heute vor dem Reichsadmiral Gyllenhjelm aussagen.«
    Auch ohne sich im schwedischen Rechtswesen auszukennen, wusste Anneke, dass das nichts Gutes bedeutete.
    »Aber dein Vater kann nichts dafür, dass das Schiff gesunken ist«, entgegnete sie. »Du hast doch gesagt, dass es nach Bauplänen gebaut wurde, die der König persönlich abgesegnet hat.«
    »Ja, und er hat sie auch persönlich geändert. Er hat ein Kanonendeck mehr gefordert und die Schiffsbauer haben es ihm gegeben. Mein Vater war skeptisch, aber letztlich meinte der Schiffsbaumeister, dass es machbar sei.«
    »Dann ist doch der Meister dafür verantwortlich und nicht dein Vater.«
    Ingmar zog besorgt die Augenbrauen zusammen. »Ich fürchte, sie werden nicht nur den Schiffsbaumeister zur Verantwortung ziehen, wenn es so weit ist. Auch alle anderen werden ihren Teil der Buße tun müssen.«
    Anneke erriet, was er damit sagen wollte. »Du meinst, sie werden sie einsperren?«
    Ingmar nickte. »Gewiss werden sie das. Vielleicht werden sie auch auf eine Galeere gebracht oder verbannt. Immerhin sind über hundert Menschen bei dem Unglück umgekommen, das wird der König nicht ungesühnt lassen.«
    »Aber das darf doch nicht sein!«, entgegnete sie entsetzt. »Kann man denn nichts tun?«
    Ingmar schüttelte den Kopf. »Nein, jedenfalls im Moment nicht. Ich muss warten, bis Vater wieder zurück ist.«
    Anneke wollte schon vorschlagen, dass sie vielleicht zum Schloss gehen sollten, doch Ingmar hatte etwas anderes vor.
    »Hast du etwas dagegen, wenn wir Mutters Grab besuchen würden?«
    »Meinst du, dass es klug ist, dort hinzugehen?«, fragte Anneke. Sie fürchtete die Reaktion der Menschen, die Ingmar kannten und ihn wie die anderen Schiffsbauer für das Unglück verantwortlich machten. Die Menschen in der Schenke sprachen nicht gerade gut über die Männer vom Schiffsbauhof.
    »Falls du glaubst, dass ich vor den Menschen dort draußen Angst habe, täuscht du dich«, gab er barsch zurück, doch im nächsten Augenblick erkannte er, dass seine Antwort zu heftig ausgefallen war. Immerhin wollte sie nur das Beste für ihn.
    Sanft legte er seine Hände auf ihre Arme.
    »Ich kann mich doch nicht verstecken wie eine Maus vor der Katze. Ich selbst habe mir keine Schuld zuzuschreiben, die Menschen auf der Vasa sind nicht wegen mir gestorben. Auch wenn ich vielleicht Anfeindungen ertragen muss, so ist mein Gewissen doch rein.«
    Anneke nickte. Sie wusste genau, dass Ingmar Gewissensbisse wegen des Untergangs hatte, wie wahrscheinlich jeder, der an dem Schiff gearbeitet hatte. Aber natürlich hatte er recht mit seinen Worten.
    Sie gingen also zum Friedhof, auf dem viele neue Gräber zu finden waren. Die meisten waren für Opfer des Schiffsunglücks, die das Meer wieder freigegeben hatte. Mittlerweile hatte man neunzig Leichen geborgen. Alle anderen waren immer noch gefangen im Schiffsrumpf am Grund des Meeres und würden es

Weitere Kostenlose Bücher