Sturmsommer
Puh, damals war ich noch richtig gut in der Schule. Ob ich ihn heute noch bekommen würde?
Nach dem Damos-Familienrat und Mamas Tücher-Anfall sind wir alle zusammen in den Stall gefahren, Mama, Papa, Lissi und ich, obwohl es nachts und stockdunkel war, und da stand Damos in seiner Box und schaute uns an, seine hellen Ponysträhnen fast bis zu den Nüstern, und schnaubte leise. Als würde er sagen: »Hallo ihr da, gehöre ich jetzt zu euch?«
In dem Moment wurde selbst Mama ganz weich, wenn sie auch immer noch vehement behauptete, niemand würde sie je dazu überreden können, Pferdemist zu schippen. Hat sie tatsächlich nie getan. Aber diese Nacht im Stall, die wird sie wohl nie vergessen. Ich erst recht nicht.
Jedenfalls gab’s diesmal keinen Familienrat, wie auch, ich war ja im Krankenhaus. Aber daheim hätte es wohl auch keinen gegeben, nicht bei einer Sechs in Mathe.
Mama wird stur, wenn sie mal was beschlossen hat. Als gäbe es keine Rückkehr. Lissi ist ähnlich.
Ich habe also kaum eine Chance. Am Montag bekomme ich schon die erste Stunde bei Tanja. Das ist genau in vier Tagen. Vier Tage, um mir eine Lösung auszudenken, einen Plan. Es muss einen Plan geben! Nur bocken, das ist zu wenig.
Mama meinte, Tanja würde bestimmt keinem weitersagen, dass sie mir hilft. Ich traue ihr nicht. Bei der kann man nie wissen! Und Mädchen quatschen doch immer über alles. Das weiß ich von Anja. Die weiß manchmal Sachen über mich, bevor ich sie weiß. Und Tanja hat sowieso immer auf alles eine Antwort. Das nervt.
Für die Reiterfreizeit habe ich mir ein »Ja-wenn« erkämpft. Das ist auch typisch für unsere Familie. Diese »Ja-wenns«. Ja, Lissi, du darfst mit deinem Freund in den Urlaub, wenn du ihn dir selbst verdienst. Als Lissi kühl »Okay« sagte, wurde Papa blass um die Nase. Mein »Wenn« ist eine Vier in Mathe. Mindestens eine Vier. Und bessere mündliche Leistungen. Das Schlimme an den »Ja-wenns« ist, dass Mama da ganz konsequent ist. Heißt: Sollte ich keine Vier oder besser schaffen, meldet sie mich wieder ab.
Das hat sie dann auch so gesagt, und Papa ist kurz zusammengezuckt, als hätte man ihm das angedroht. Ob genügend Betreuer dabei wären, fragte er. »Massig«, sagte ich schnell. Und auch medizinische Betreuung?
»Jaaa«, machte Freddie überzeugend und lächelte nett. Ach, ich glaube, Papa würde am liebsten mitfahren.
Apropos Freddie. Die beiden sind nicht mehr da. Fil durfte gestern raus und Freddie ist heute Morgen in die Reha gefahren. Ich liege hier nun ganz alleine. Das war irgendwie komisch, als die Tür nach vielen »Tschüss« und »Ciaos« zufiel. Schon ohne Fil hat was gefehlt. Und mir ist so langweilig. Ich darf zwar wieder rumlaufen und fernsehen - aber was nützt das?
Vorhin habe ich die Fäden gezogen bekommen. Ich habe überhaupt nichts gespürt. Dann hab ich alleine zu Abend gegessen. Mir fehlt vor allem Freddie. Ich habe mich so an seine Gegenwart gewöhnt, obwohl er sich ja eigentlich immer hinter seinem Buch versteckt hat.
Papa fand ihn sehr erwachsen. Ja, stimmt schon. Freddie ist wie ein Baum, als könnte ihn nichts erschüttern. Nie hat er über sein Knie gejammert. Als er sich von Lissi verabschiedete, hat er wehmütig geschaut. Er sah nicht verliebt aus, sondern wehmütig. Na ja, traurig, glaube ich. Und dann meinte er, ich hätte es gut. »Ja«, sagte ich leise, obwohl ich vorher noch der Meinung gewesen war, ich hätte es nicht gut, weil ich zu Tanja …
Ach, ich darf nicht dran denken. Ich habe ja noch vier Tage.
Heute. Heute! Ich darf raus. In einer halben Stunde holen sie mich ab - Mama, Papa und sogar Lissi. Mit der ich nicht mehr gesprochen habe seit unserem Streit. Sie war zwar da, mit Mama, aber sie hat nur geguckt und nichts gesagt.
Ich wollte auch nichts sagen. Trotzdem, ich freue mich auf sie. Und auf Mama. Ich mag ihr Grübchenlächeln. Papa zu sehen kann ich auch kaum mehr erwarten, weil Papa und Zuhause, das gehört einfach zusammen. Ich sehe Papa ganz schrecklich ähnlich, nur die Grübchen hab ich von Mama. Ist ja auch egal.
Ich hänge schon die ganze Zeit am Fenster herum und beobachte die Krankenhausauffahrt. Da! Das ist unser hässlicher Mercedes! Ich kann Henri hinten im Kofferraum stehen sehen. Ich habe ihn so sehr vermisst, dass ich nachts manchmal dachte, ich höre ihn. Und im Schlaf hab ich hin und wieder neben mich gefasst, weil ich das zu Hause immer tu, wenn er vor meinem Bett pennt. Als er gerade erst zu uns gekommen war, hatte ich
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