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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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nicht getraut zu fragen. Klang übel. Freddie ist schon so erwachsen. Er liest ganze Stapel von Büchern, von morgens bis abends. Er tut mir irgendwie ein bisschen leid, aber ich bewundere ihn auch.
    Sein Vater wäre kaum zu Hause, sagte er. Einer müsse ja das Geld verdienen. Aber wenn er mal da wäre, dann würde er sich auch Zeit für ihn nehmen. So richtig. Dann würden sie schwimmen gehen oder zusammen zelten.
    Meine Eltern waren heute drei Mal hier. Das war mir schon fast peinlich. Mama hat mir Himbeeren mitgebracht. Himbeeren um diese Jahreszeit! Sie muss sie bei ihrem Delikatessen-Fritzen gekauft haben. Ich liebe Himbeeren, vielleicht werde ich schneller gesund, wenn ich sie esse.
    Dann kam Toni dazu und hat viele uninteressante Geschichten von der Schule erzählt. Aber ich war froh, ihn hier zu haben, obwohl er furchtbar zappelig war und dauernd sagte, er könne diese Krankenhausluft nicht riechen. Ich muss darin schlafen! Zwischendurch hat er immer wieder ängstlich auf meine Naht gestarrt, als könnte sie plötzlich aufplatzen und ein Alien herausspringen. Ich glaube er war froh, als er wieder verschwinden konnte.
    Lissi hat mir inzwischen verraten, dass Toni nach meinem Unfall ebenfalls kurz ohnmächtig geworden ist, weil mein ganzes Gesicht voller Blut war. Mein Sportlehrer muss fast die Nerven verloren haben. Angeblich war es Tanja, die Toni einen nassen Waschlappen aufs Gesicht geklatscht hat und meinen Sportlehrer anherrschte, er solle sich gefälligst zusammenreißen. Das kann ich gar nicht glauben. Jedenfalls muss alles sehr chaotisch gewesen sein. Lissi meinte, die ganze Schule habe sich darüber unterhalten. Und Frau Schilfer sei zwei Tage umhergelaufen, als habe sie jemanden umgebracht. Völlig zerknirscht. Das tut mir fast schon wieder leid.
    Ich bin müde, finde aber keine Ruhe. Filippos Schnarchen wird immer dramatischer. Manchmal klingt es, als würde er gleich ersticken, dann kommt ein lautes Gurgeln und es geht wieder von vorne los.
    Ich stehe auf und gehe ans Fenster. Eine schöne Mainacht ist heute. Ab und zu zwitschert verschlafen ein Vogel und der Wind rauscht sanft in den Bäumen.
    Wenn ich jetzt zu Hause wäre, würde ich wahrscheinlich entweder bei Lissi im Zimmer hocken oder Musik hören. Coldplay. Oder Linkin Park. Sicherlich Linkin Park. Das würde mir Energie geben. Und heute Mittag wäre ich auf Damos durch die Wälder geprescht.
    Habe ich etwa Heimweh? Ich glaube schon.
    Ich schließe das Fenster bis auf einen schmalen Spalt, drehe Filippo auf die andere Seite, lege mich hin und warte aufs Einschlafen.
    Es ist nicht zum Aushalten. Ich darf nicht lesen, nicht Musik hören, nicht fernsehen, einfach gar nichts. Das mit dem Fernsehen, das ist ja nicht so schlimm, aber ich sehne mich so nach Musik oder einem Buch! Freddie verschlingt Bücher und Lesezeichen auf einmal. Wirklich! Er knabbert beim Lesen an diesen Dingern rum, bis sie ganz schlabberig sind. Dann bastelt er sich neue, aus der Mittagessenskarte oder einer Serviette. Das sind die Minuten, in denen er ansprechbar ist.
    Aber wenn er liest, ist er weg. Keine Chance.
    Fil kann mich noch einigermaßen unterhalten. Na ja. Er versucht, mir italienische Vokabeln beizubringen. Wie in der Schule. Fil ist wirklich etwas anstrengend. Das haben auch die Schwestern schon gemerkt und kommen nur noch rein, wenn sie müssen.
    Und dann lassen wir diese peinlichen Fragen über uns ergehen. Ob wir auf dem Klo waren oder nicht. Und wie. Und so weiter. »Das wollen Sie nicht wirklich wissen«, sagte Freddie einmal und wir fingen an zu lachen.
    Ich höre die Tür quietschen und drehe mich um. Ein Sandalenfuß und ein Kettchen um den Knöchel… »Lissi!«, rufe ich erfreut.
    »Hallo Schatzi«, sagt sie, und ich freue mich schon nicht mehr so. Ich hasse das. Ich bin nicht ihr Schatzi.
    Ich werfe einen kurzen Blick auf meine Zimmergenossen: Freddie verkriecht sich hinter seinem Buch und Filippo stellt sich schlafend.
    »Na, dir scheint’s ja wieder besser zu gehen.« Sie lehnt sich ans Fußende von meinem Bett und schmeißt mir eine Tafel Schokolade rüber.
    »Hier. Deine Lieblingssorte.« Sie verzieht das Gesicht. »Mint. Eine Schande, dafür Geld auszugeben.« Begeistert reiße ich die Hülle auf und stecke mir gleich vier Stücke auf einmal in den Mund. Schnaufend kaue ich. Ich liebe es, wenn sich die kühle Minzfüllung auf meine Zunge schmiegt. Es gibt nichts Besseres.
    Lissie seufzt, setzt sich auf den Besucherstuhl und streckt die Beine

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