Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
noch Deserteure.
Was den Mann wohl bewogen hatte, ausgerechnet hier das
Weite zu suchen? Es war nicht selten, dass Seeleute in der Sturmwelt plötzlich beschlossen, sich selbst von der Heuerliste zu streichen. Aber dort sprach man fast überall Thaynrisch, und das Wetter und die zahlreichen bewohnten Inseln begünstigten ein solches Verhalten. Aber hier, in Rachine? Es war schwer vorstellbar, wie ein einzelner Mann hier sein Glück suchen wollte. Es sei denn, es hatte sich bei ihm um einen géronaischen Spion gehandelt. Der Gedanke alarmierte sie, zumal diese Schlussfolgerung recht naheliegend war.
Und noch immer waren sie ihrem Ziel nicht näher gekommen. Sie waren weiterhin auf Vermutungen angewiesen, was die Todsünde betraf, und konnten nur hoffen, dass sich ihr Vorsprung nicht ständig vergrößerte.
Wirklich Jaq – ich würde es sehr begrüßen, wenn du Neuigkeiten mitbrächtest.
THYRANE
Schon als sie die Treppen hinunterhasteten, merkte er, wie sehr ihm die vergangene halbe Stunde zugesetzt hatte. Der Schwindel kehrte zurück, und er schwitzte aus jeder Pore seines Körpers.
»Warte … einen Moment«, bat er Sinao.
»Was ist denn? Wir müssen uns beeilen, Admiral. Dein neuer Freund hat gesagt, er kann die Soldaten nicht lange von hier fernhalten. Und Manoel ist unten, und er braucht vielleicht Hilfe«, erklärte die junge Paranao hastig.
»Schon recht, aber wenn ich noch drei Schritte in diesem Tempo renne, dann könnt ihr, Manoel und du, Admiral Holt meine Leiche überbringen und die Belohnung dafür kassieren.«
»Oh. Entschuldigung, ich habe nicht gesehen, dass es dir so schlecht geht. Hier, setz dich.« Sinao ergriff Thyrane fürsorglich am Arm und führte ihn zu einem Treppenabsatz, wo sie ihm half, sich auf eine der Stufen zu setzen.
Thyrane legte den Kopf in den Nacken und sog tief Luft in seine Lungen. Nach drei oder vier Atemzügen ließ der Schwindel nach, und sein Kopf begann sich zu klären. »Weißt du, ich bin einfach kein junger Mann mehr«, sagte er mit einem Lächeln. »Früher mal hätte es mir nichts ausgemacht, von meinen eigenen Leuten eingesperrt zu werden und einen Assassinen auf den Hals gehetzt zu bekommen.«
»Einen was?«
»Einen gedungenen Mörder.«
»Das hätte dir früher nichts ausgemacht?«
»Vielleicht doch, aber nicht so viel wie heute.« Als er Sinaos skeptisch gerunzelte Stirn sah, musste er lachen. »Also gut, es hätte mich auch zu meinen besten Zeiten geschafft. -Aber jetzt geht es mir schon besser, wir können also weiter.«
Die Paranao reichte ihm eine Hand, und er tat so, als ob er sich von ihr hochziehen lassen würde, war aber gleichzeitig froh, dass ihm das Aufstehen noch aus eigener Kraft gelang.
Sie eilten die letzten Treppen hinunter und verließen das Gebäude durch die Vordertür. Tatsächlich waren alle Wachen, die hier vorher gestanden haben mochten, verschwunden.
Ich kann immer noch nicht glauben, dass Shanton mich wirklich hat gehen lassen, dachte Thyrane. Ich hoffe, er bekommt nicht allzu rasch Grund, seine Entscheidung zu bereuen.
»Mano?«, wisperte Sinao neben ihm, die sich suchend in dem gepflegten Garten des Anwesens umsah. »Mano, wo bist du?«
»Hier drüben«, antwortete ihnen eine vertraute Stimme. »Unter dem Korallenbaum.«
Als er seine Augen anstrengte, konnte Thyrane unter den tiefhängenden Ästen eines niedrigen Baumes den Umriss des jungen Mannes erkennen, der gegen den Baumstamm gelehnt dasaß. Sinao löste sich von der Seite des Admirals und lief auf Manoel zu; Thyrane folgte ihr langsamer mit einigen Schritten Abstand.
Der Maestre sah noch verwegener aus als sonst. Die linke Seite seines Kopfes verunzierte eine kaum verkrustete Schramme, und er hatte sich das Blut nur notdürftig aus dem Gesicht gewischt, so dass nun rotbraune Schlieren wie eine
Paranao-Bemalung auf seinen Zügen wirkten. Die Verletzung schien ihn jedoch nicht allzu stark zu beeinträchtigen, denn er grinste und zog sich an dem Baumstamm in die Höhe, als sich Sinao und Thyrane näherten.
»Admiral Thyrane!«, sagte Manoel munter. »Ich weiß zwar nicht, wie ihr beide das gemacht habt, aber die Soldaten sind vor vielleicht einer Viertelstunde allesamt abmarschiert. Beherrschst du inzwischen Gedankenkontrolle, Sin, und hast mir bloß nix davon gesagt?«, fragte er gut gelaunt.
»Halt den Mund, Mano. Geht es dir gut?« Sie stellte sich neben den Maestre und betastete vorsichtig die Wunde.
Er winkte ab. »Nix Schlimmes. Momentan höre ich auf
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