Sturmwind der Liebe
Alec nahm seiner Frau den Mantel ab und übergab ihn einem wartenden Diener. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, hielt er betroffen den Atem an. Dann wollte er den Diener zurückrufen. Doch der war schon verschwunden.
Wo hatte sie dieses scheußliche Kleid her? Sie sah darin einfach unmöglich aus. Schon die Farbe, ein sonderbares Dunkelgrün, machte sie schrecklich blaß. Zudem war ihr das Kleid zu eng und spannte an Schultern und Brüsten. Der Schnitt war unbeschreiblich, ein Beispiel für schlechten Geschmack. Schauderhaft die sechs Rüschen, die oberste unter der Brust, die unterste am Rocksaum. Über dem Busen war eine Lage Spitzen krumm und schief angenäht. Plötzlich tauchte vor seinem geistigen Auge ein Bild auf: Genny in einem anderen Kleid, ebenfalls mit Spitzen am Mieder. Er sah sich selber, wie er sie verblüfft anstarrte und dann lachen mußte.
Das Bild verschwand und wurde durch ein anderes ersetzt. Genny stand vor ihm, und zwischen ihnen lag ein Haufen weißer Samtschleifen auf dem Fußboden. Er sah sie eine weitere Schleife vom Kleid abreißen. Dann riß er eine ab. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Er schüttelte den Kopf, und die Erinnerung verflog.
Er war wieder in der Wirklichkeit. Er stand neben ihr, blickte auf sie herab und konnte deutlich ihre Brustspitzen sehen. Nie hätte er so etwas für möglich gehalten … Sie war doch eine Lady! Woher kam dieses abscheuliche Kleid? Wollte sie ihn strafen? Hatte sie es absichtlich angezogen, um ihn zu blamieren?
Was sollte er nur tun?
Wütend flüsterte er ihr zu: »Genny, wir gehen wieder. Und später habe ich mit dir zu reden.« Er packte sie an der Hand. Doch es war schon zu spät.
Eileen Blanchard reichte ihm die Hand. »Guten Abend, Alec! Wie schön, dich hier zu sehen.«
Alec blieb nichts anderes übrig, als Eileens Hand zu ergreifen und an die Lippen zu führen. »Hallo, Eileen.« Es war hoffnungslos. Für mindestens weitere fünf Minuten saßen sie in der Falle. Danach würde er seine Frau nehmen und nach Hause bringen.
»Das ist meine Frau Genny. Meine Liebe, das ist Eileen Blanchard.«
Eine schöne Frau, dachte Genny, und lächelte so freundlich, wie sie nur konnte. »Hallo.«
»Deine Frau!« In bemerkenswert kurzer Zeit musterte Eileen Genny vom Scheitel bis zur Sohle. Dann lachte sie los. »Wirklich, Alec, du bist zu komisch!« Wieder begann sie zu lachen. Ein häßliches Lachen, dachte Genny und schaute die Frau an. »Deine Frau!« wiederholte Eileen prustend. »Ein guter Scherz, my Lord, aber nun ist’s genug. Du willst doch deine Freunde nicht beleidigen. Schick das Flittchen weg, und ich gestatte dir, den ersten Walzer mit mir zu tanzen!«
Flittchen!
Gennys Busen wogte vor Wut. Doch sie beherrschte sich. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, daß ihre Brüste vorn aus dem Kleid quollen! »Ich bin kein Flittchen«, sagte sie laut. »Ich bin Alecs Frau.«
»Sie sind eine Amerikanerin! Das ist doch zu komisch, my Lord! Cocky, komm mal her und sieh dir an, was für Späße Alec heute abend mit uns treibt!«
Alec trat rasch dazwischen. Sehr leise, freundlich und ruhig sagte er: »Eileen, das ist meine Frau. Verstehst du mich?«
»Nein«, sagte sie kichernd. »Deine Frau? Aber das ist doch absurd … du und verheiratet? Du hast doch geschworen, du würdest nie wieder heiraten. Du hast immer gesagt, du hättest zu viel für Frauen übrig, als daß du dich an eine binden würdest. Einmal sagtest du, wenn ich dich richtig gern hätte, sollte ich dir zu Weihnachten einen ganzen Harem schenken. Und warum gerade die? Guck sie dir doch mal an, Alec! Also dieses Kleid und …«
Alec wandte sich an einen Diener, der hinter seiner Herrin stand und das Gespräch mit großem Interesse angehört hatte. »Holen Sie den Mantel der Lady und meinen auch! Gleich! Sofort!«
Cocky, der eigentlich Reginald Cockerly hieß, verfolgte den Auftritt ebenfalls, hielt aber wohlweislich den Mund, doch nun hatten auch andere Gäste bemerkt, daß etwas nicht stimmte. Die allgemeine Unterhaltung verstummte. Die Menschen reckten die Hälse, um besser sehen zu können. Alec wäre gern mitsamt seiner Frau im Boden versunken.
Er hatte sich als Weihnachtsgeschenk einen Harem gewünscht? Guter Himmel, was war er denn für ein Mensch?
Er sah Genny an. Sie war bleich, aber gefaßt und starrte gerade vor sich hin. Ihre Lippen waren ein dünner Strich. Wo zum Teufel hatte sie dieses scheußliche Kleid her? Sie hatte es absichtlich angezogen, um ihn zu blamieren
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