Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
überdenken und um den richtigen Weg zu beten. Bedauerlicherweise muss ich hinzufügen: Es wird immer schwieriger, das Land auf halbwegs geordnete Weise zu verlassen. Wir können Sie nicht nachkommen lassen, sobald Sie sich entschieden haben. Für eine alleinstehende Frau ist die Reise zu gefährlich!«
Anki nickte, obwohl ihre Gedanken wild in ihrem Kopf durcheinanderpurzelten. Es war ihr unmöglich, jetzt sofort eine Entscheidung zu fällen. »Wann werden Sie abreisen?«
»Man sagte uns, dass in fünf Tagen ein Zug mit ausreisewilligen Deutschen über die Grenze gelangen könnte. Ich hoffe, dabei bleibt es. Immerhin sind wir besser betuchten Familien ein nicht zu verachtendes Faustpfand in der Hand der Russen. Bisher scheint noch niemand auf diese Idee gekommen zu sein …«
»Damit bleiben dir noch ein oder zwei Tage zum Überlegen und Beten, Anki. Falls du dich dazu entscheidest, nicht mitzugehen, hole ich dich nach Ende des Krieges nach.« Robert sprach leise. Es fiel ihm sichtlich schwerer, ihr diese Entscheidungsfreiheit zu lassen, als er zuzugeben bereit war.
Ankis Herz erwärmte sich, als ihr bewusst wurde, wie groß seine Liebe, aber auch der Respekt war, den er ihr entgegenbrachte. »Gut, dann nehme ich mir diese Zeit des Betens und Prüfens.«
Mathilde drückte kräftig ihre Hand, ehe sie diese losließ, um Obst aufzutischen. Das Gespräch wandte sich anderen, zuweilen heiteren Themen zu, obwohl der Schrecken des zuvor Erlebten nach wie vor präsent war, was Anki nicht verwunderte. Das Ehepaar Busch, ebenso wie auch Robert, strahlte eine Gelassenheit aus, die sie zutiefst beeindruckte. Sie plante gern voraus und kam mit Veränderungen nur schwer zurecht. Obwohl sie weder ein aufbrausender Typ war noch nervös, fiel es ihr nicht so leicht, unangenehme Gegebenheiten stoisch hinzunehmen und das Beste aus ihnen zu machen. Diese Wesensart kam Robert als Arzt bestimmt zugute, überlegte sie und beobachtete ihn, der sich gerade höflich bei seinen Eltern dafür einsetzte, dass Oskar eine Mitreise nicht aufgezwungen wurde. Nach seinem Dafürsprechen sollte es seinem Bruder freigestellt sein, sich für die Fortführung seines Studiums hier in Petrograd entscheiden zu dürfen. Ob er damit erreichen wollte, dass zumindest ein Mitglied der Familie Busch in Ankis Nähe blieb, falls sie sich gegen den Vorschlag seiner Mutter entschied?
***
Mathilde umarmte Anki zum Abschied, was sie gern zuließ. Roberts Mutter musste man einfach mögen, und offenbar war Mathilde auch von ihr sehr angetan. Ehe Anki sich in den dunkelblauen Rolls Royce Silver Ghost helfen ließ, winkte sie Wolf zum Abschied zu, der in der Tür stehen geblieben war. Kurze Zeit später fuhr Robert über die Nikolaj-Brücke hinüber in den Admiralitäts-Rajon und zu der Straße an der Mojka.
Die Dunkelheit war so vollkommen, dass selbst das Meer aus elektrischen Lichtern in den Häusern und Palästen entlang des Kanals nicht ausreichte, um sie zu durchdringen, obwohl ihr Schein aus den Fenstern hinab auf die kalten Pflastersteine fiel.
Robert stoppte den Wagen, machte den Motor aus und lehnte sich zurück. Schweigend saßen die jungen Leute nebeneinander und blickten durch die Windschutzscheibe hinaus in den orangefarbenen Lichtkegel der nächsten Straßenlaterne. Sie bemerkten die frostige Kälte kaum, die sie umgab, waren ihre Gedanken und Sinne doch auf anderes ausgerichtet.
Schüchtern warf Anki Robert einen Blick zu. Seine Hände umklammerten das Lenkrad des Rolls Royce , während er den Blick starr geradeaus gerichtet hielt. »Robert?« Er wandte ihr das Gesicht zu, ohne jedoch die verkrampften Hände vom Steuer zu lösen. Zu Ankis Missfallen erlaubte ihr die unzureichende Beleuchtung nicht, seine Mimik zu deuten. »Ich danke dir, dass du mir die Entscheidung freistellst.«
»Glaube mir, Anki, ich würde dich gern zwingen, deine Habseligkeiten einzupacken und sofort mit mir zurück zu meinen Eltern zu fahren. Wie ein kostbares Juwel würde ich dich im Auge behalten und in ein paar Tagen mit nach Württemberg nehmen. Aber du hast das Recht, dass ich deine Wünsche respektiere. Ich liebe dich so, wie du bist. Auf keinen Fall möchte ich dich umformen, selbst wenn das vielleicht manchmal einfacher für mich wäre.«
Fasziniert beobachtete Anki die Atemwolken vor seinem Gesicht. Sie kamen stoßweise, da er seine Worte hart aussprach. »Wenn du dich für einen zügigen Abschied von den Chabenskis entschließen würdest, wäre ich sehr
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