Sturz Der Engel
gleiten.
XLVIII
D er Herrscher von Lornth nickt dem Wächter auf dem Flur zu, schließt die Tür des Turmzimmers und geht zum Erker hinüber, wo die Fürstin Ellindyja sitzt.
»Guten Tag, meine liebe Mutter.«
»Guten Tag, Sillek. Es ist freundlich von mir, dass du mich immer noch besuchst.«
»Du meinst, seit ich eine Gemahlin habe? Du bist und bleibst meine Mutter und die Frau, von der ich etliches gelernt habe.« Als der Wind pfeift, dreht er sich um und macht einen Schritt zum Fenster hin. »Der Wind ist ungewöhnlich stark für diese Jahreszeit.«
»Uns scheint ein strenger Winter ins Haus zu stehen. So kalt war es schon seit Jahren nicht mehr.« Ellindyjas Blick fällt auf den Stickrahmen. »Ich hoffe, es ist für deine Gemahlin nicht zu kalt.«
»Für Zeldyan? Carpa liegt fast so nahe an den Westhörnern wie Lornth und sogar noch etwas weiter im Norden. Ich bin sicher, dass sie an den Winter hier gewöhnt ist. Ihr Vater hat sie in der Jagd unterwiesen und ihr sogar gezeigt, wie man mit dem Schwert umgeht.«
»Sie ist eine Frau mit erstaunlichen Fähigkeiten.« Ellindyja hält inne, aber Silleks Blick wandert wieder zum Fenster. Sie räuspert sich. »Sillek, deine Zeldyan war so lieb … so aufmerksam und höflich, mir ihre Aufwartung zu machen.«
Sillek wendet sich von den Schneeflocken ab, die vor dem Fenster unruhig tanzen, durchquert den Raum und lässt sich seiner Mutter gegenüber auf einen Stuhl fallen. »Sie weiß, dass du sehr klug bist. Das hat sie mir gesagt.«
»Sie liebt dich, Sillek. Das ist sehr gefährlich.« Ellindyja hebt die Sticknadel wie einen Dolch und zielt auf ihren Sohn.
»Warum soll das gefährlich sein?«
»Sie liebt dich so sehr, dass sie dir aus Angst um dich Ratschläge geben könnte, die nicht das Wohl von Lornth berücksichtigen.« Ellindyja schnappt sich das Ende des Fadens und beginnt mit den ersten Stichen einer Figur, die ein goldenes Schwert werden soll.
»Es gibt sicherlich viele, die aus diesen und jenen Gründen versuchen, mir diese und jene Ratschläge zu geben«, erwidert Sillek. »Es könnte eine angenehme Erfahrung sein, zur Abwechslung einmal jemanden um mich zu haben, der tatsächlich um meine eigene Gesundheit besorgt ist. Auch wenn das nicht unbedingt für Lornth gut sein mag, ist es eine angenehme Erfahrung.«
»Was gut für Lornth ist, das ist auch gut für dich, Sillek.«
»Das will ich hoffen.« Der Herr von Lornth erhebt sich. »Ich will es hoffen.« Er blickt wieder zum Fenster. »Vielleicht wird ein langer, harter Winter die Engel vom Dach der Welt vertreiben.«
»Glaubst du das wirklich?« Die Sticknadel sticht eilig durchs Leinen und hinterlässt goldene Spuren.
»Das Böse lässt sich gewöhnlich nicht von schlechtem Wetter vertreiben. Aber trotzdem … wir können zumindest hoffen. Und da der Frühling hoch in den Bergen erst spät beginnt, haben wir Zeit, unsere Vorräte aufzustocken, ehe wir uns mit diesem Problem befassen.«
»Es freut mich, dass du den Verlust nicht gänzlich vergessen hast.«
»Ich habe ihn nicht vergessen und berücksichtige ihn in meinen Planungen, liebste Mutter. Aber ich habe nicht die Absicht, meinen Rücken zu entblößen, während ich in die Westhörner vorstoße.« Sillek betrachtet das Schneetreiben vor dem Fenster. »Ja … ein langer, harter Winter könnte aus verschiedenen Gründen hilfreich sein.« Er geht zur Tür.
»Es freut mich, dass es dir gut geht, es freut mich, dass du dich entschlossen hast, nicht in die Verbannung zu gehen, und es freut mich, dass du gut über Zeldyan sprichst«, fügt er hinzu. Er öffnet die Tür und dreht sich lächelnd noch einmal zu ihr um. »Und ich bin froh, dass ich deinen Rat angenommen habe und nach Carpa gefahren bin.« Mit einem letzten Lächeln deutet er einen förmlichen Salut an und schließt die Tür.
Der Nordwind rüttelt an den Turmfenstern, die Schneeflocken tanzen.
XLIX
N ylan trug die Skier und die mit Lederriemen versehenen Stöcke aus Tannenholz auf der Schulter und verließ den Turm durch die Südtür. Er folgte Ayrlyn und Saryn den Weg hinauf, der ein Stück weit in Richtung der Ställe ausgetreten worden war. Im hüfttief liegenden Schnee war auf diese Weise vor dem Turm eine etwa fünfzig Ellen lange Rampe entstanden, die weiter oben in lockeren Schnee überging. Dahinter fiel die verschneite Hochebene, teilweise von hohen Schneewehen bedeckt, leicht nach Osten ab.
Die Grabhügel unten in der südlichen Ecke der schneebedeckten
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