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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Körper waren, aus einer Nacht, die vom Neonlicht schattenlos ausgeleuchtet wurde, und Feldberg hatte sie auf Schwachstellen hin abgetastet, die Liebe zu einem Hund, zu einem Kind, während der Wimpel langsam auspendelte. Und manchmal hatte einer von ihnen dann etwas Vernünftiges gesagt.
    Mit der Liebe zu einem Hund kannte er sich aus. Er hatte nur einmal einen Hund besessen, eine harmlose helle Straßenmischung mit hängenden Ohren, aufgegriffen in den Straßen von Bukarest. Er sagte: aufgegriffen, nachdem ihm der Hund stundenlang hinterhergelaufen sei durch die Stadt, die Feldberg von allen sozialistischen Städten am meisten gefiel. Ihre Weitläufigkeit, die verfaulenden Villen an der Peripherie, Zeichen des absterbenden Imperialismus, der aufstrebende stolze Palast in der Mitte. Auf den Stufen des Palastes habe der Hund gehockt, die Schnauze gereckt, die Hinterläufe eingeknickt, und sein Arsch sei über dem Boden hin- und hergeschwungen. Diese Positur, dieses Einknicken, eine Demutsbezeugung vor dem Palast, sei es gewesen, die Feldberg habe anhalten lassen. Es habe viele streunende Hunde in der Stadt gegeben, aber diesen habe er sich genauer ansehen müssen. Was ein Fehler gewesen sei, denn von da an sei ihm der Hund hinterhergelaufen. Sogar in die U-Bahn hinunter sei er ihm gefolgt. Sobald er stehengeblieben sei, habe der Hund sich an ihn gedrängt und seinen Arsch an ihm gerieben, dieselbe Demutsbezeugung, was ihm auf merkwürdige Weise geschmeichelt habe. Und nach einer Weile sei Feldberg hungrig geworden, und der Hund habe ihm leid getan, und er habe ihm etwas abgegeben von seiner rumänischen Bockwurst aus Pferdefleisch.
    Das hatte er erzählt, wenn die Subjekte vor ihm auf ihren Händen saßen. Bei den meisten von ihnen drang er damit durch. Nach Tagen der Einsamkeit waren sie schutzlos. Seine Tierliebe rührte an ihre eigenen Schwachstellen, weshalb er diese Geschichte so oft wiederholt hatte, bis sie ölig geworden war, während Akko an der Heizung lag und für nervöses Augenflackern sorgte.
    So hatte er es gehandhabt. Er hatte sich vernünftige Antworten beschafft. Und auch wenn er mit der Beschaffung mittlerweile Probleme hatte, wollte er es weiterhin so handhaben. Die Liebe zu einem Hund war eine Erfahrung, die ihm beruflich zugute kam.
    Die Liebe zu einem Kind war ihm weniger geläufig.
    Aber Rainer Feldberg war jemand, der Schlüsse ziehen und sich fremdes Wissen anverwandeln konnte.
    Ist es nicht ein bisschen so wie nach Hause kommen? Wie zu sich selber finden?
    Auf dem Weg zur Straßenbahn lächelte Felix Ton ihm aus dem Wartehäuschen entgegen: Ein erfolgreicher Mann.
    Feldberg klemmte sich seine lederne Aktentasche fest unter den Arm. Er zog seine Sommerjacke straff. Dann stieg er in die Bahn.

Inez Rauter
    sah aufs Meer. Sie stand an der Spitze der Landzunge. Sie hatte jedes Gefühl dafür verloren, wie lange sie hier stand. Anfangs war der Wind von hinten gekommen. Als sie aus ihrer Hütte getreten und zur Landzunge gelaufen war, hatte der Wind ihr den Mantelkragen hochgeklappt und in den Nacken gedrückt. Aber dann musste der Wind gedreht haben. Feuchte Meerluft sprühte ihr ins Gesicht. Meerluft oder Regen. Als der Regen stärker wurde, verließ sie die Landzunge und ging ins Museum.
    Man konnte den Verstand verlieren oder auch nicht.
    Sie betrat ihr Büro nur kurz. Es kam ihr vor, als wäre sie in den anderthalb Stunden nach dem Verlassen ihrer Hütte bis zur Ankunft im Büro nicht da gewesen. Inexistent. Sie nahm den Autoschlüssel vom Haken neben dem Schrank.
    Sie ging hinaus zum Schotterplatz. Den Kalk auf den Wegen hatte das Regenwasser aufgelöst und in eine glitschige Masse verwandelt.
    Schwamm drüber
, wie Feldberg so gern sagte, Schwamm über ein Foto, das eine Frechheit war. Über ein Wort, das ihr zugemutet wurde, obwohl es nicht existierte. Das Wort
Sohn
kam in Inez’ Wortschatz nicht vor. Es war gestrichen. Am Morgen halb im Wattemantel an der Tür. Auf der Landzunge. Im Regen.
    Es war gelöscht. Nie dagewesen.
    Inexistent.
    Inez startete den Minitraktor. Sie lenkte ihn mit Gewalt durch den Schlamm, der an ihren Gummistiefeln hochspritzte, als sie hinauf zur Schafsweide fuhr, wo die Tollkirschen wuchsen. Sie hielt nicht an. Die Wattejacke saugte sich mit Feuchtigkeit voll und wurde schwer. Sie fuhr bis ans Ende des Hügels. Der Weg führte dort in einer Schleife wieder zum Hafen zurück, und sie nahm die Schleife, ohne abzubremsen. Die Räder blockierten. Der Traktor geriet

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