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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Tatsachen. Was ich sagen will, Inez, du hast da gar keinen Einfluss drauf. Lohnt sich also überhaupt nicht, sich jetzt die Augen auszuheulen. Guck dich lieber um! Hübsch dich auf, Mädchen, such dir was Neues. Klar, hab ich deinem Männe gesagt, er soll sich das gut überlegen.
Mehrmals.
So einen Prachtkerl, das findet man nicht oft. Aber Datsche, Dreiraumwohnung – ich kenn ihn. Er hat dich doch auch schon in meinem Wartburg durch die Gegend kutschiert. Und? Ganz der Strahlemann, oder? Nicht gerade ein Vorzeigesozialist. Aber ich weiß, tief drinnen hat er die richtige Einstellung.«
    Inez hielt die Decke mit beiden Händen vor der Brust zusammen. So wusste sie ungefähr, an welcher Stelle der Garten aufhörte und wo ihr Körper begann.
    »Wir sind für was Großes gemacht«, sagte sie schließlich.
    »Klar«, sagte Feldberg. »Seh ich ganz genauso.«
     
    Jemand anders hatte das Foto in Eriks Portemonnaie getan, und der einzige, der in Frage kam, war Feldberg. Aber diesmal hatte sich Feldberg verrechnet. Sie würde sich von ihm nicht täuschen lassen. Diese Zeiten waren vorbei. Feldberg musste annehmen, die Entdeckung würde ihr so den Verstand rauben, dass sie nicht mehr in der Lage wäre, vernünftig zu denken. Er schien davon auszugehen, dass sie sogar auf die idiotischsten Manipulationen hereinfiel. Aber so leicht raubte ihr nichts mehr den Verstand.
    Inez sah in den Spiegel. Sie tupfte sich Hautcreme auf Wangen und Lippen, schraubte das Döschen zu und verteilte die Creme ausdauernd über ihr Gesicht. Sie war erleichtert. Sie hatte Feldberg durchschaut.
    Er war methodisch vorgegangen. Zuerst hatte er den Vereinsvorsitzenden benutzt, und als der Vereinsvorsitzende sich nicht mehr benutzen lassen wollte, weil er als Schwede auch subtile Arten von Gewalt instinktiv ablehnte, hatte er ihr die Tordalke serviert. Aber den Trumpf seiner Macht hatte er erst nach seiner Abreise ausspielen wollen, und dazu hatte er Erik benutzt, und Erik hatte sich benutzen lassen, weil er keine Ahnung hatte, weil er zu einer Generation gehörte, deren DDR ein Film mit skurrilen Gestalten war, die ihre Macht längst verloren hatten.
    Die Beschaffung des Fotos konnte Feldberg damals nicht schwergefallen sein. Er hatte seine Hände überall im Spiel gehabt. Wahrscheinlich hatte er es sich noch auf der Geburtenstation aushändigen lassen, weshalb es seinen Bestimmungsort nie erreicht hatte. Er brauchte bloß den Stoffbeutel abzutasten, auf die Verdickung zu stoßen und das Foto zu entfernen. Und dann hatte er es aufbewahrt. Zwanzig Jahre lang hatte er es in seinen Akten gelagert. Zwanzig Jahre hatte er auf den entscheidenden Moment gewartet. Inez hatte keine Schwierigkeiten, sich das bis ins Detail auszumalen, während sie weiter ihr Gesicht einrieb, sich auszumalen, wie Feldberg dieses Foto im Laufe der Jahre immer wieder hervorgeholt, mit einem Staubtuch abgewischt und im schwachen Schein einer Lampe betrachtet hatte, sich ergötzt hatte daran, nur, um es ihr zu passender Zeit auf perfide Weise unterzuschieben.
    Inez quetschte den letzten Rest aus der Zahnpastatube. Feldbergs Einfall war so abgelegen wie diese Insel. Außer ein paar Insidern und Hobbyornithologen kannte Stora Karlsö niemand. Auch sie hatte nie von dieser Insel gehört, bevor sie sich für das Thema ihrer Doktorarbeit entschied. Man musste schon ein Zufallsfanatiker sein, um zu glauben, dass der verschollene Sohn ausgerechnet hier auftauchen würde. Die Wahrscheinlichkeit, ihm in Tasmanien zu begegnen, wäre nicht geringer gewesen.
    Und Feldberg ging sogar noch weiter. Er wollte sie glauben machen, jener Mensch, der für sie gestorben war und hoffentlich ein gutes Leben hatte,
Ende der Sentimentalitäten
, wäre zufällig auch noch mit derselben Fähre gekommen wie Feldberg selbst.
    Inez rollte die Zahnpastatube auf und warf sie in den Mülleimer unter dem Waschbecken. Feldberg hatte mit dieser Zahnpastatube eine ungeheure Ähnlichkeit. Sie hatte ihre Form verloren. Vielleicht war der zeitliche Abstand zu seiner früheren Tätigkeit inzwischen so groß, dass er langsam ins Senile abdriftete.
    Sie machte das Licht im Bad aus und ging ins Bett.
    Sie dachte daran, wie er im Juni am Strand hart ihren Arm gefasst hatte und wie sie das bei Erik kurz zuvor auf dieselbe Weise getan hatte, und das war der einzige Zufall, an den sie in diesem Zusammenhang glaubte. Denn Feldberg hatte bei seinem methodischen Vorgehen etwas Wichtiges vergessen. Er hatte vergessen, dass sie

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