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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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der Grundlage von Vorkriegsberichten kann man vermuten, dass die Russen schlicht und einfach nicht mit dem Einsatz von Funktechnik gerechnet haben«, erklärte Walter. »Sie haben die Geräte zwar in ihren Einheiten, waren aber nicht auf deren Einsatz vorbereitet.«
    »Warum benutzen sie dann keine Feldtelefone? Ein Anruf kann nicht abgefangen werden.«
    »Ich nehme an, ihnen sind die Telefonkabel ausgegangen.«
    Mit den nach unten gezogenen Mundwinkeln und dem vorstehenden Kinn erweckte Ludendorff stets den Eindruck, als würde er angriffslustig das Gesicht verziehen. »Das kann doch keine List sein?«
    Walter schüttelte den Kopf. »Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Die Russen sind ja kaum in der Lage, eine normale Kommunikation aufzubauen. Falsche Funksprüche abzusetzen ist ihnen genauso fern, wie zum Mond zu fliegen.«
    Ludendorff beugte sich über die Karte auf dem Tisch vor ihm. Er war ein unermüdlicher Arbeiter, wurde aber oft von schrecklichen Zweifeln geplagt; Walter nahm an, dass er unter Versagensängsten litt. Ludendorff legte den Finger auf die Karte. »Samsonows XIII . und XV . Korps bilden das Zentrum der russischen Linie«, sagte er. »Wenn sie weiter vorrücken …«
    Walter erkannte sofort, worauf der General hinauswollte: Die Russen konnten in einen Kessel gelockt werden.
    »Auf unserer rechten Flanke haben wir François mit seinem I . Korps«, fuhr Ludendorff fort. »Im Zentrum steht Scholtz mit dem XX . Korps. Er hat sich zurückfallen lassen, ist aber nicht auf der Flucht, auch wenn die Russen das zu glauben scheinen. Links, allerdings fünfzig Kilometer weiter nördlich, haben wir Mackensen und das XVII . Korps. Mackensen behält den nördlichen Teil der russischen Zange im Auge. Aber wenn diese Russen in die falsche Richtung marschieren, können wir sie für den Augenblick außer Acht lassen und Mackensen einen Vorstoß nach Süden erlauben.«
    »Ein klassisches Manöver«, bemerkte Walter. Es war ganz einfach; trotzdem hatte er es erst gesehen, als Ludendorff es ihm gezeigt hatte. Genau das, dachte er bewundernd, ist der Grund, weshalb Ludendorff General ist und ich nicht.
    Ludendorff fuhr fort: »Aber das wird nur funktionieren, wenn Rennenkampf und seine 1. russische Armee weiter stur nach Westen marschieren.«
    »Sie haben die abgefangenen Nachrichten gesehen, Herr General. Die russischen Befehle sind ausgegeben.«
    »Wollen wir nur hoffen, dass Rennenkampf seine Meinung nicht noch ändert.«

    Grigoris Zug hatte keinen Proviant mehr, aber eine Wagenladung Spaten war gekommen, und so hoben die Männer einen Schützengraben aus. Sie gruben in Schichten und lösten einander nach einer halben Stunde ab, sodass es nicht allzu lange dauerte. Das Ergebnis sah zwar nicht sehr ordentlich aus, aber es erfüllte seinen Zweck.
    Früher am Tag hatten Grigori, Isaak und ihre Kameraden eine verlassene deutsche Stellung überrannt. Dabei war Grigori aufgefallen, dass die Gräben der Deutschen in einer regelmäßigen Zickzacklinie verliefen, sodass die Sichtweite der Soldaten, die sich in diesen Gräben aufhielten, sehr begrenzt war. Leutnant Tupolew erklärte, dass man diese Grabenform einen Splittergraben nannte. Den genauen Sinn des Ganzen vermochte er nicht zu erkennen; deshalb befahl er seinen Männern auch nicht, das deutsche Muster zu kopieren. Grigori hingegen fragte sich, was die Deutschen sich dabei gedacht hatten.
    Bis jetzt hatte er seine Waffe noch kein einziges Mal abgefeuert. Natürlich hatte er mehr als einmal Schussgeräusche gehört – Gewehr-, MG - und Artilleriefeuer –, und seine Einheit hatte bereits einen großen Teil deutschen Territoriums eingenommen, aber Grigori selbst hatte bis jetzt nicht auf den Feind geschossen, und ihm waren auch noch keine Kugeln um die Ohren geflogen. Wohin das XIII . russische Korps auch kam – die Deutschen waren bereits verschwunden.
    Steckt irgendeine Logik dahinter, fragte sich Grigori. Nein. Im Krieg war alles Chaos, wurde ihm klar. Niemand konnte mit Gewissheit sagen, wo genau sie sich aufhielten oder wo sich der Feind befand. Zwei Männer aus Grigoris Zug waren getötet worden, allerdings nicht von den Deutschen: Einer hatte sich versehentlich mit dem eigenen Gewehr ins Bein geschossen und war verblutet; der andere war von einem durchgehenden Pferd niedergetrampelt worden und hatte nie mehr das Bewusstsein wiedererlangt.
    Seit Tagen hatten sie keinen Proviantwagen mehr gesehen. Ihre Notrationen waren aufgebraucht, sogar die

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