Sturz in den Tod (German Edition)
war, immer häufiger ihren Körper trainierte und im Anschluss noch ein paar
Saunagänge absolvierte. Alexander wählte nochmals die Nummer des Handys und bat
sie zurückzurufen. Er wollte nicht, dass es so aussah, als hätte er von
vornherein vorgehabt, sämtliche Entscheidungen über die Bestattung seiner
Mutter ohne Absprache mit seiner Frau zu treffen. Dabei hatte er längst alle
Entscheidungen getroffen und war sich sicher, dass Katharina das kaum
interessieren würde.
Es sollte ihm niemand nachsagen können, er hätte die billigste
Variante gewählt, also entschied er sich für das Schiff » MS Luzia«, das von Travemünde aus aufs Meer
hinausfuhr und außerhalb der Drei-Meilen-Zone auf einem Seefriedhof der Ostsee
Urnen beisetzte. Diese Fahrt kostete zwar nur neun Euro mehr als die allergünstigste
Variante, aber dafür war das Schiff das neueste.
Alexander überlegte, das Ganze übers Internet zu organisieren. Doch
dann befürchtete er, es könnte etwas nicht wie gewünscht klappen, und wählte
die kostenlose Hotline. Zehn Minuten später legte er den Hörer wieder auf und
hatte alles erledigt. Die nette Frau hatte ihm ihr Beileid ausgesprochen und
ihn mit großem Respekt behandelt, so als wäre er der einzige Mensch auf der
Welt, der gerade seine Mutter verloren hatte. Sie hatte nicht so gewirkt, als
würde sie nur die Bestellung einer Dienstleistung annehmen, sondern so, als
wäre es ihr ein Anliegen, für Alexander eine würdevolle Zeremonie zu
organisieren. Alexander Bergmann fühlte zum ersten Mal, seit das alles
geschehen war, Trauer. Die Frau von der Hotline hatte nie die Worte Tote oder Verstorbene in den Mund
genommen, sondern immer von seiner Frau Mutter gesprochen. Sie würden seine Frau Mutter abholen und versorgen. Sie würden
seiner Frau Mutter das Gewand anlegen lassen und den Sarg mit Kissen und Decke
ausstatten, sie würden seine Frau Mutter zum Krematorium überführen, und dort
würde nochmals ein Arzt seine Frau Mutter anschauen …
Alexander Bergmann hatte angemerkt, dass das nicht nötig sei, denn
seine Mutter komme, wie gesagt, aus der Rechtsmedizin. Seine Frau Mutter werde
dann zur Reederei an der Ostsee überführt, hatte die Frau danach weiter
erklärt, wo sie in die Seebestattungsurne umgebettet werde. Der Kapitän werde
während der Ausfahrt eine Ansprache halten und auch die Urne beisetzen, es sei
denn, ein Angehöriger würde es gern selbst tun. Kleine Handsträuße könnten zur
Verfügung gestellt und mit ins Meer geworfen werden.
Eintausendneunhundertneunundneunzig Euro, für all das. Vierzehn Personen könnte
die Trauergesellschaft umfassen. Wie viele es denn werden würden, fragte die
Frau von der Hotline. Alexander Bergmann hatte geantwortet, dass er das klären
und sich noch einmal melden werde.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und überlegte, wen er zur
Seebestattung einladen sollte. Es kamen ihm ein paar alte Bekannte seiner
Eltern in den Sinn und ein paar ehemalige Mitarbeiter seines Vaters. Doch die
Vorstellung, mit diesen auf dem kleinen Schiff hinauszufahren, beunruhigte ihn.
Enge Verwandte gab es keine. Alexander hatte nicht einmal vor, seine Tochter
extra aus Amerika anreisen zu lassen. Heuchlerisch käme ihm das vor. Dabei fiel
ihm ein, dass er Franziska noch gar nicht benachrichtigt hatte, dass Großmama verstorben war. Er ging davon aus, dass seine Frau
es bei einem ihrer Telefonate per Skype getan hatte.
Großmama, so und nicht anders wollte Alexanders Mutter von ihrer
Enkelin genannt werden, das hatte sie bei Franziskas Geburt angeordnet. Eine
wirkliche Großmama war sie jedoch nie gewesen.
Alexander stand auf und sah aus dem Fenster. Der Hausmeister
pflanzte rote Primeln auf dem Hofgelände nach. Wie oft hatte Alexander schon
gedacht, dass er sie entfernen lassen müsste, diese Relikte aus den Zeiten
seines Vaters, doch dann hatte er die Primeln gar nicht mehr wahrgenommen. Nun
fragte er sich, wie oft sie in den letzten Jahren durch neue ersetzt worden
waren, sodass auf dem Gelände alles so aussah, als wäre sein Vater hier noch
der Chef. Als wäre Alexander noch ein Kind.
Er sah sich, wie er eines Tages als kleiner Junge gemeinsam mit
seiner Mutter den Vater bei der Arbeit besuchte. Angestellte strichen ihm über
den Kopf und schmeichelten ihm, dass er ein hübscher und großer Junge sei, mit
feinen dunklen Locken und großen blauen Augen. Alexander ging stolz an der Hand
seines Vaters durch Flure und Büros, die Mutter neben sich. Später,
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