Sturz in die Vergangenheit
Baugerüste mehr. Einige Menschen, Knechte und Mägde wohl, eilten über das Pflaster, verschwanden in Türen und Eingängen. Ein zotteliger Hund schnüffelte herum, ignorierte eine in der Sonne dösende Katze, um sein Bein an einem Baumstamm zu heben.
Matthias sah nach vorn, zum Burgfried. Heute – also in seinem Heute – war alles ein wenig höher als jetzt, das hatte er ja von Weitem bereits gesehen. Aus der Nähe nun konnte er erkennen, dass es noch keine Zinnen gab, auf die man später so stolz sein würde, dass man sie vor jedem Winter mit Frostschutzmittel einsprühte.
„Kann ich Euch helfen?“
Erneut fuhr Matthias herum.
Ein junges Mädchen stand vor ihm. Ein lachendes junges Mädchen mit roten Wangen und hübschen blonden Locken.
Unter Bettlern
„ Ä hm“, machte Matthias und räusperte sich. Was jetzt? Konnte er einfach nach dem Weg fragen? „Ich suche Wilmar, den Oberkoch.“
Das Mädchen erstrahlte. „Dann sucht Ihr die Küche?“
Matthias nickte.
„Da seid Ihr hier aber ganz falsch.“
Würde sie sich jetzt wundern? Dass er vor den Ställen stand und offenbar nicht weiterwusste?
„Habt Ihr Euer Pferd gerade hier untergebracht?“, fragte sie unbefangen weiter und bot Matthias damit die Lösung seiner Probleme an.
Er nickte unbestimmt und wies mit dem Kinn in Richtung des Burgfrieds. „Bin noch nie hier gewesen.“
„Da drüben“, deutete sie mit der Hand auf das Hauptgebäude. „Unter der Halle. Zur Küche geht es ein paar Stufen hinab. Dort werdet Ihr Wilmar finden.“
Sie lachte freundlich, wirkte so unkompliziert und völlig unbekümmert, dass Matthias spontan ihre Hand ergriff und sich sagen hörte: „Ich bin Mattis, wer seid Ihr?“
„Adelinda“, sagte sie, errötete und entzog ihm sogleich die Hand. „Kommt mit mir, ich habe den gleichen Weg.“
In der Zukunft würde das Hauptgebäude hübsche, grün und weiß bemalte Fensterläden haben, dazu Blumenkästen mit üppigen Geranien, und dadurch anheimelnd aussehen. Doch jetzt, zwar frisch verputzt und gekalkt, jedoch ohne jede Zierde, wirkte es trutzig und gedrungen. Die engen Fenster taten ihr übriges. Auch wenn die im Vergleich mit den vergitterten Luftschlitzen, die darunter im Souterrain zu erkennen waren, fast üppig wirkten.
Dorthin führte Adelinda ihn, sprang ein paar Stufen abwärts und öffnete eine kleine hölzerne Pforte. Dann wandte sie sich zu Matthias, lächelte auffordernd und trat ein.
Bratengeruch, Dampf und Hitze schlugen ihm entgegen, Stimmgewirr und lautes Geklapper. Matthias folgte dem Mädchen noch einige Stufen zwischen dicken Mauern abwärts, ehe er den Raum vollständig überblicken konnte. In riesigen, gemauerten Herden brannten helllodernde Feuer. Darüber hingen Kessel, aus denen es in duftenden Schwaden dampfte, an dicken Ketten von der gewölbten Raumdecke herab. Dazwischen standen klobige Holztische, die sich unter gehäuteten Hasen und Rehen nur so bogen. Direkt daneben saßen ein paar Frauen auf Schemeln und rupften Gänse. In der Ecke war ein Schwein auf einem Gestell an den Hinterbeinen aufgehängt, dessen aufgeschlitzter Leib Matthias rot entgegenleuchtete. Ein Küchenjunge war gerade dabei, die Innereien herauszuholen. Mit blutverschmierten Armen hob er graues, glitschig scheinendes Gewebe aus dem Tier und ließ es in eine hölzerne Wanne platschen. Schweinedarm. Jäh durchflutete Matthias Dankbarkeit dafür, in diesem Moment nicht neben dem Jungen zu stehen oder gar an dessen Stelle zu sein.
Ganz im Hintergrund des riesigen Raumes erkannte er einen Ofen mit Klappen, unter dem ebenfalls ein Feuer brannte. Dort schob ein schwitzender Mann Brote in den Backofen. An einem riesigen Spieß daneben wurde über einem Feuer ein Ungetüm gedreht, das sehr nach einem vollständigen Ochsen aussah. Im ganzen Raum herrschte Gewimmel wie auf dem Burghof draußen, dazu war es so heiß, dass es Matthias den Schweiß aus sämtlichen Poren trieb.
„Da drüben!“ Adelinda, von dem Schauspiel nicht im Mindesten beeindruckt, wies auf einen kleinen dicken Mann, der gerade auf einen Kessel zusteuerte, tatsächlich einen überdimensionierten Kochlöffel hineinversenkte und umrührte. Dabei redete er ununterbrochen und offensichtlich verärgert auf einen danebenstehenden Jungen ein.
Matthias nickte Adelinda noch einmal zu, dann machte er sich auf den Weg durch den Raum.
„Beständig rühren, habe ich gesagt, nicht hie und da.“ Der Mann, der offenbar Wilmar war, machte noch ein
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