Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
Etwas, das auch nicht mehr eintreten wird«, sagte ich entschlossen.
Auch Dr. Melvins Haltung hatte sich verändert. Ich war der Schüler und er der Lehrer. »Das ist ja der Grund, weshalb es so schwer zu erklären ist. Wir leben mit Leuten wie ihnen in einer Welt. Damit meine ich nicht unbedingt nur Feinde der Zeit, sondern Menschen, die bei ihren Entscheidungen rein rational kalkulierte Risiken eingehen.«
»Noch einmal: Das erscheint mir gar nicht so schlecht.«
Dr. Melvins Augenbrauen schnellten hoch. »Wirklich nicht? Denk doch nur mal an den Krieg. In jedem Land gibt es jemanden, der die Verantwortung trägt. Ein Mann oder eine Frau muss die Entscheidung treffen, Soldaten in den Krieg zu schicken. Junge Leute mit Angehörigen, die sie brauchen, Männer und Frauen mit Kindern, die zu Hause auf sie warten. Wer die Befehle erteilt, diese Leben aufs Spiel zu setzen, geht mit dieser Entscheidung ein kalkuliertes Risiko ein. Er nimmt in Kauf, einige Leben zu verlieren, darauf hoffend, auf diese Weise eine größere Zahl von Leben zu retten. Wir brauchen solche Menschen, ja, aber stell dir vor, jeder wäre so.«
Meine Schultern sackten unter dem zusätzlichen Gewicht seiner Worte noch tiefer nach unten. »Glauben Sie, ich werde wie sie? Bis ich achtzehn wurde, war ich normal. Was, wenn ich mich immer weiter verändere?«
Melvin lächelte. »Ich kannte dich schon vor deiner Geburt, Jackson. Du könntest niemals derjenige werden, der Menschen in den Tod schickt, ganz egal, wie viele Leben dadurch gerettet würden. Sie bedienen sich mathematischer Methoden, deine kommen von Herzen, auch wenn sie manchmal impulsiv sind. Das ist eine wunderbare Eigenschaft. Aber auch eine Schwäche.«
»Betrachten sie es auch als Schwäche, oder tun nur Sie selbst das?«, fragte ich.
»Sowohl als auch«, sagte er sofort. »Ärzte fechten denselben inneren Kampf aus. Manchmal muss man sein Mitgefühl mit einem Patienten beiseiteschieben und sich nur auf rein medizinische Fakten stützen, um eine Diagnose zu erstellen oder eine Behandlung zu beginnen. Es kommt auch vor, dass eine emotionale Verbindung zu einem Patienten erstaunliche Vorteile mit sich bringt, aber es ist häufig schwer, das eine oder das andere zum rechten Zeitpunkt abzustellen.«
In seinem Gesicht zeigte sich kurz eine große Traurigkeit. »Wie bei Courtney? Sie haben länger versucht, sie am Leben zu erhalten, als Sie es hätten tun sollen?«
»Sie hatte starke Schmerzen. Obwohl ich das wusste, wollte ich nicht aufgeben.« Sein Blick war verhangen, doch es fielen keine Tränen. »Ich weiß nicht, ob es richtig oder falsch war. Bei ihr hat die Veränderung, glaube ich, früher eingesetzt als bei dir. In einem Monat war alles gut, und im nächsten war ihr Gehirn mit inoperablen Tumoren übersät. Das konnte ich unmöglich vorhersehen.« Er seufzte und fixierte einen Punkt hinter meiner Schulter. »Wir hatten die besten Gehirnchirurgen und Onkologen der Welt da, die ihren Fall untersucht haben. Aber was mit ihr passiert ist, war durch moderne Medizin nicht zu stoppen.«
»Wäre sie also möglicherweise so geworden wie ich, wenn sie nicht krank geworden wäre?«
»Ja«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, ob du dich nicht noch schlechter fühlen wirst, wenn ich dir das alles erzähle.«
»Ich wollte es wissen.« Ich schüttelte den Kopf und starrte auf meine Hände. »Aber wenn ich nur irgendein Experiment bin, fällt es mir schwer, mich noch mit irgendjemandem … mit meinem Vater verbunden zu fühlen.«
Die Worte waren draußen, bevor ich es verhindern konnte. Wenigstens war nur Melvin im Zimmer. Mein Dad hatte mir 2007 erzählt, dass Courtney und ich sein Auftrag waren, sein Job. Aber ich wollte sein Sohn sein.
»Ich weiß nicht, ob das für dich ins Gewicht fällt, aber ich kann dir aus Überzeugung sagen, dass dein Dad auf der richtigen Seite steht.«
Mir fiel etwas ein, was Marshall im Jahr 2007 gesagt hatte, als er über Harolds Leiche gestanden hatte. Er ist einer aus Dr. Ludwigs Brut.
»Wer ist Dr. Ludwig?«, fragte ich.
Melvin zog die Augenbrauen hoch. »Ein Wissenschaftler wie ich. Jemand mit der gleichen Begeisterung für die Gehirne von Zeitreisenden. Nur dass seine Produkte Reinblüter sind. Allerdings keine Originale, sondern Kopien.«
»Sprechen Sie vom Klonen?«, hakte ich nach.
»Ja, so was in der Art. Und genetischer Mutation.«
Plötzlich sah ich lange Reihen von Harolds, Cassidys und Typen mit Schuhabdrücken vor mir, die in riesigen
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