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Sturz ins Glück

Sturz ins Glück

Titel: Sturz ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Witemeyer
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wollte er dieses Mal nicht mit den beiden Damen im Inneren der Kutsche reisen. Als die Pferde sich in Bewegung gesetzt hatten, nickte er ihr noch einmal zu. Ihr. Adelaide Proctor. Der neuen Hauslehrerin. Die Wirklichkeit drang nur sehr langsam in ihr Bewusstsein.
    Mr Westcott stand im Hof und sah der Kutsche nach, während Adelaide ihn beobachtete. Der Mann schien zwei völlig unterschiedliche Charaktere zu haben. Tagsüber war er ein Arbeiter, der Baumwollhemden und grobe Hosen trug, mit trächtigen Mutterschafen rang und die Pferde seltsamer Frauen tränkte. Aber am Abend verwandelte er sich in einen Adligen mit Seidenkrawatte, geschliffenen Umgangsformen und kultiviertem Charme. Vor dem hart arbeitenden Mann hatte Adelaide großen Respekt, doch der englische Gentleman brachte ihr Herz zum Flattern, weil er jeden Helden verkörperte, über den sie jemals gelesen hatte.
    Er war gut gebaut und groß gewachsen, aber nicht zu groß. Sein dunkles Haar trug er kurz, seine Augen hatten die Farbe von geschmolzener Schokolade. Aber es war sein Lächeln, das sie gefangen genommen hatte. Er hatte Grübchen, die ihm einen so freundlichen Gesichtsausdruck verliehen, dem sie unmöglich widerstehen konnte.
    Als er am letzten Abend den Empfangsraum betreten und ihr zum ersten Mal in die Augen geschaut hatte, seit sie aus dem Stall vor ihm geflohen war, hatten seine Augen sie schelmisch geneckt und ihr die Hitze in die Wangen, vor allem aber ins Herz getrieben. Sie hatte sich wie Jane Eyre gefühlt, die in Thornfield ankommt, um ihre Position als Gouvernante der jungen Adèle einzunehmen. Nur dass Jane Mr Rochester nicht dort vorgefunden hatte. Ein sehnsüchtiger Seufzer entfuhr ihr, als sie in ihrem Tagtraum versank. Doch plötzlich wurde sie von Mr Westcotts Schritten jäh aus ihrer Schwärmerei gerissen.
    Adelaide wandte sich schnell um, um ihn nicht ansehen zu müssen. Ihr Herz pochte im gleichen Rhythmus wie ihr schlechtes Gewissen. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war, von ihrem Arbeitgeber dabei ertappt zu werden, dass sie ihn anhimmelte. Hatten ihre romantischen Allüren ihr nicht schon genug Probleme eingebracht? Außerdem lächelte Mr Westcott sowieso viel zu herzlich, um die Rolle des düsteren und grübelnden Rochester zu spielen. Und ihre eigene impulsive Natur konnte wohl kaum mit der ruhigen und anständigen Jane konkurrieren, die mehr mit den Augen als mit dem Mund sprach.
    Sie war hier auf Westcott Cottage, um ihre Arbeit zu machen, nicht um ihr Lieblingsbuch nachzuspielen. Isabella verdiente das Beste, was sie geben konnte. Gott hatte sie hierher geführt, um diesem kleinen Mädchen zu helfen. Am besten verdrängte sie ihre Tagträume sofort in den hintersten Winkel ihrer Seele.
    „Wenn Sie so freundlich wären, mich in mein Büro zu begleiten, Miss Proctor, würde ich Sie gerne mit Ihren Aufgaben vertraut machen.“
    Adelaide zwang sich dazu, ihm in die Augen zu schauen. Er lächelte sie an und brachte dabei wieder seine Grübchen zum Vorschein, die ihre ohnehin angespannten Nerven noch weiter strapazierten. Solche Dinge waren tödlich für die Konzentration einer Lady. Sie stemmte die Hände in die Hüften und kniff sich, bis die Atemlosigkeit endlich aus ihrer Brust wich.
    „Natürlich“, sagte sie und war froh, dass ihre Stimme ganz normal klang.
    Er führte sie in sein Büro, das im hinteren Bereich des Hauses lag. Dunkle Walnussmöbel beherrschten den Raum, eine komplette Wand wurde von einem Bücherregal eingenommen. Weiche Oliv- und Cremefarben in den Bezügen der Sitzmöbel, des Teppichs und der Vorhänge nahmen der Einrichtung ihre Schwere. Auf der hellen Tapete mit den goldenen Mustern spiegelten sich die wenigen Sonnenstrahlen, die in den Raum drangen. Etwas von Adelaides Anspannung verschwand. Das hier war ganz offensichtlich das Zimmer eines Mannes, doch es war trotz allem sehr einladend. Das war ein Segen. Mit ihrem neuen Arbeitgeber unter vier Augen zu sprechen war aufregend genug, da musste sie nicht auch noch das Gefühl haben, erdrückt zu werden.
    „Nehmen Sie doch bitte Platz, Miss Proctor.“
    Ein Sofa und zwei Sessel standen an der Wand gegenüber dem Bücherregal. Mr Westcott berührte einen der Sessel und bedeutete ihr, sich hinzusetzen. Sobald sie sich niedergelassen hatte, nahm er ihr gegenüber Platz. Zwischen ihnen stand ein niedriger Tisch, auf dem zwei in Leder gebundene Bücher lagen.
    Adelaides Neugier ließ alle Sorgen über das bevorstehende Gespräch verschwinden. Sie

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