Sturz ins Glück
hatte keine Ahnung, wie sie es geschafft hatte, aber Miss Proctor hatte den schmutzigen Dachboden in ein gemütliches Unterrichtszimmer verwandelt. Er reckte sich, um einen noch besseren Blick zu bekommen, und entdeckte Isabella auf einer breiten Fensterbank. Sie hielt einen Besenstiel in der Hand, legte ihn sich an die Schulter und tat so, als visiere sie ein Ziel an. Fast hätte er laut losgelacht.
„Ich denke, wir sind hier fertig, Gefreite.“ Miss Proctor trat in sein Blickfeld und wischte die Hände an ihrer Schürze ab. Dann fuhr sie sich über die Stirn, offensichtlich erschöpft von der Arbeit des Nachmittags. Strähnen ihres braunen Haares hatten sich gelöst und umspielten ihre Wangen. Unter ihrem linken Auge befand sich ein Fleck, den Gideon am liebsten weggewischt hätte.
„Lassen Sie uns zum Essen gehen, Gefrei– Aaah! Izzy! Einer der Gefangenen ist soeben entflohen. Kommen Sie schnell!“
Miss Proctor sprang herum und zeigte auf einen Punkt am Boden. Bella verließ sofort ihren Platz am Fenster und rannte wie eine geübte Soldatin an die Seite ihrer Hauslehrerin. Gekonnt drückte sie den Besen auf den Boden, doch sie musste ihr Ziel verfehlt haben, denn sie setzte noch einmal nach. Gideon erkannte die ausweglose Situation des Opfers. Die arme Spinne hatte keine Chance gegen Bella.
Miss Proctor trat einen Schritt zurück, um Bella den Sieg zu gönnen. Als das Mädchen die Spinne zerquetscht hatte, schnappte sie sich ein Kehrblech und beförderte die Leiche gekonnt in einen Mülleimer. Triumphierend hob sie den Besen, schwenkte ihn über ihrem Kopf und sprang auf und ab. Miss Proctor rannte quietschend vor Freude an ihre Seite.
„Du hast es geschafft, Izzy!“
Während die beiden feierten, betrat Gideon den Raum. Bellas Lachen erfüllte den Dachboden und hörte sich für ihn wie Engelsgesang an. Er war so fasziniert davon, dass er nicht bemerkte, dass sich unaufhaltsam Unheil näherte.
Kapitel 9
„Hurra!“
Adelaide schwang ihren Besen jubelnd durch die Luft. Doch plötzlich hörte und spürte sie einen lauten Schlag. Sie hatte mehr als nur Luft getroffen. Eine männliche Stimme schrie erstickt auf. Adelaide presste die Augen fest zusammen und wagte nicht, sich umzuwenden, um nachzuschauen, was sie diesmal angerichtet hatte. Ihr Herz setzte erst einen Schlag aus, um dann doppelt so schnell zu klopfen.
Mr Westcott stand leicht nach vorn gebeugt hinter ihr und hielt sein Kinn. Vorsichtig bewegte er seinen Unterkiefer hin und her, als müsse er überprüfen, ob etwas gebrochen war. Als er sie anschaute, erwartete sie, Wut in seinen Augen zu sehen, doch seine dunkelbraunen Augen funkelten amüsiert.
„Eines Tages lerne ich noch, mich an Sie anzuschleichen, ohne dafür körperlich bestraft zu werden.“
Das Fiasko im Pferdestall kam ihr wieder in den Sinn. Gestern hatte sie ihn mit Hafer paniert und heute mit einem Besen niedergeschlagen. Wenn das so weiterginge, wäre er am Ende der Woche tot.
„Mr Westcott, es tut mir unendlich leid. Ich hatte nicht gehört, dass Sie eingetreten sind.“ Adelaide ließ den Besen fallen, als wäre er der einzige Übeltäter.
Er befühlte noch einmal seinen Kiefer und ließ dann die Hand sinken. „Ich glaube nicht, dass Sie einen bleibenden Schaden verursacht haben.“ Der rote Fleck auf seiner Wange schien etwas anderes zu sagen.
„Außerdem“, fuhr ihr Arbeitgeber fort, „können wir diesen Unfall doch nicht die schöne Feier stören lassen. Ich hatte noch keine Zeit, meiner tapferen kleinen Soldatin zu gratulieren.“ Er sah an Adelaide vorbei. „Komm her, Bella.“
Das Kichern war verschwunden, aber ein Lächeln lag immer noch auf dem Gesicht seiner Tochter. Sie kam zu ihm herüber und er schloss sie in die Arme. „Ich bin beeindruckt von der ganzen Arbeit, die ihr beide hier oben geleistet habt. Sieht aus, als hättet ihr Spaß gehabt.“
Isabella nickte begeistert.
„Was hat dir den größten Spaß gemacht?“
Isabella antwortete, indem sie ihre Hände zusammenlegte und mit den Fingern wackelte. Dann legte sie die Hände aufeinander, als halte sie einen Besen, und machte schnelle Kehrbewegungen.
Adelaide beobachtete Gideon genau und war beeindruckt davon, dass sein Lächeln nicht schwächer wurde. Nur das nachlassende Funkeln in seinen Augen drückte leise Enttäuschung aus. Wenn Adelaide bedachte, wie sehr sie selbst unter dem Schweigen des Mädchens heute Nachmittag gelitten hatte, konnte sie nur erahnen, wie sehr seine Gefühle
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