Such mich Thriller
von Leben.
Sein Angreifer - und bald sein Mörder - stand nicht weit weg von ihm, in einer Gestalt, die so ganz anders war als die des entstellten Kindes, das er vor vielen Jahren gekannt hatte.
Paul Magritte lag in einer tiefen, schmalen Rinne, und er begriff jetzt, warum er noch am Leben war. Ein zweites Mal würde man ihn nicht überfahren können. Und deshalb war der Killer, der die Berührung eines lebendigen Menschen scheute, hilflos. Er konnte nur auf den letzten rasselnden Atemzug eines alten Mannes warten.
Warte noch ein wenig länger.
Paul Magritte litt große Schmerzen. Es war eine Qual, auch nur eine Hand zu heben, seinem Mörder zu winken: Komm ein wenig näher.
Mallory betrachtete die Leiche im Kofferraum - ein klarer Fall von Tod durch Überfahren. Hier ging es nicht mehr um Rituale, dies war nicht der Vorwand eines Killers, dem Spiel eine überraschende Wendung zu geben. Nachdem sein Denkmal vollendet war und die kleinen Mädchen ordentlich aufgereiht dalagen, hatte er ausschließlich die Publicity im Visier. Doch diese Attacken waren anders. Dr. Magritte war ein wichtiger Zeuge, war ein unerledigtes Problem, das noch abgearbeitet werden musste. Und der tote Vater im Kofferraum? Ein Köder natürlich. Was aber hatte der Killer sich bei dem Mord an Horace Kayhill gedacht?
Mallory ging zurück zu dem Graben und kniete sich neben Paul Magritte, der immer wieder kurz aus der Bewusstlosigkeit erwachte. »Der Rettungswagen muss gleich da sein.« Sie sah nicht auf den Sterbenden, sondern auf die unbefestigte Straße, hielt Ausschau nach einem Fahrzeug, horchte auf eine Sirene.
»Mallory?«, sagte Dr. Magritte mit matter Stimme. Auch er sah auf die Straße. »Aus dieser Richtung erhoffe ich mir nichts. Ich hoffe auf Sie.« Sein Blick ging zu der kostbaren Trophäe, die er ihr geschenkt hatte, das blutige Messer, das schon in der
Asservatentüte steckte. »Es war ein achtbarer Versuch, alter Mann. Ein sehr achtbarer Versuch.«
»Ein Erfolg«, keuchte er, rote Bläschen auf den Lippen.
»Nicht reden«, sagte Mallory.
»Das Blut auf meinem Messer … nicht meins … wichtig …«
Mallory mochte Magritte nicht sagen, dass es wertlos war, dass man mit DNA-Spuren vielleicht vor Gericht etwas anfangen konnte, aber nicht bei der Suche nach dem Täter. »Ja«, bestätigte sie. »Er wird leichtsinnig, trägt sich, wenn wir Glück haben, sogar mit Selbstmordabsichten. So endet es manchmal.«
»Er … kann nicht zurück … zum Konvoi … ich habe ihn mit dem Messer …« Magrittes Finger zogen eine gezackte Linie über seinen Hals.
»Sie haben ihn für mich gezeichnet.« In Mallorys Lächeln lag fast so etwas wie Zuneigung. »Deshalb hatten Sie den alten Revolver mitgenommen. Hat Nahlman Ihnen die Waffe weggenommen?«
Magritte nickte. »Nicht ihre Schuld, sie konnte es ja nicht wissen.«
»Und da haben Sie beschlossen, es mit dem Messer zu machen. Das war Ihr Schlupfloch, um das Beichtgeheimnis nicht verletzen zu müssen.«
Er war in eine Falle gelaufen, obwohl er wusste, dass es ihn das Leben kosten würde. Und die Stichwunde? Selbstverteidigung - die einzige Tat, die Paul Magrittes Glauben ihm erlaubt hatte.
»Diesmal …« Magritte bewegte stumm die Lippen. Seine Augen schlossen sich.
»Diesmal werde ich es kommen sehen«, brachte Mallory den Satz für ihn zu Ende.
18
R ettungsassistenten schlossen Paul Magritte an ihre Apparate an und spickten ihn mit Nadeln, die Medikamente und Blutkonserven in seine Adern leiten sollten. Polizisten standen als Begleitmannschaft bereit. Magrittes Zustand war schon fast stabil genug, um ihn ins Krankenhaus zu bringen.
Als Mallory den asphaltierten Highway am Ende der unbefestigten Straße erreicht hatte, steckte sie in einer Zwickmühle. Nach Osten oder nach Westen? Für die Verbrecherjagd war jetzt die Staatspolizei von New Mexico zuständig, und die Struktur dieses Tages war ihr entglitten. Sie konnte nicht einmal mehr schätzen, wie spät es war, denn die Tage wurden länger - zu lang.
Sie wandte sich nach Osten. Die Entscheidung war gefallen. Fehlte noch die Musik dazu. Sie suchte an ihrem iPod herum, fand das alte Eagles-Album und drehte die Lautstärke voll auf.
»… take it eeeasy, take it eeeasy …«
Auf dem Rückweg zum Konvoi kam sie an den Fahrzeugen der FBI-Agenten vorbei, denen die Medien dicht auf den Fersen waren. Alle miteinander waren sie unterwegs zu dem neuen Tatort - ihrem Tatort.
»… don’t let the sound of your own wheeels
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