Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
Vom Netzwerk:
Unpässlichkeiten.
    »Bin gleich wieder da«, sage ich und verschwinde in die Küche, um Raoul anzurufen. Mailbox. Verdammt.
    »Möchtest du Saft in dein Wasser?«, rufe ich aus der Küche ins Wohnzimmer. »Wir hätten Ribiselsaft hier. Nur Ribisel, leider.« Ich fühle mich wie eine Kellnerin in einem schlecht sortierten Café.
    »Ich brauche nichts«, ruft sie zurück. »Bitte bemüh dich nicht.« Wahrscheinlich hat sie Angst, dass ich ihr noch weitere Getränke anbieten könnte. Als ich ins Wohnzimmer zurückkehre, streicht sie nervös an ihren Haaren herum, doch der Bob bleibt zerzaust. Ich setze mich in Raouls Schreibtischsessel, um nicht mit ihr auf dem Sofa zu hocken, und fühle mich deplatziert in meiner eigenen Wohnung.
    »Also läuft das Beratergeschäft gut?«, frage ich.
    »Meine Zielgruppe ist potentiell unendlich groß«, sagt sie. »Im Prinzip fällt jeder rein, der sich auf dem freien Markt bewegt.«
    »So wie Raoul«, sage ich.
    »So wie Raoul«, sagt Maja.
    »Ich biete im Grunde ein komplettes Rundumpaket für Jungunternehmer«, sagt Maja. »Inklusive Förderungen, Steuerrecht und Businessplan. Im Prinzip kenne ich mich überall aus.«
    Maja spricht mit einer seltsamen, offiziellen Stimme, so habe ich sie noch nie sprechen hören. In jeden zweiten Satz baut sie ein im Prinzip ein. Ich bin so gebannt von ihrem Auftritt, dass ich vergesse, ihr weitere Fragen zu stellen.
    Maja malt mit dem Zeigefinger ein Muster auf ihr Knie. Dann sieht sie auf ihre Uhr: »Kommt Raoul heute noch? Im Prinzip habe ich noch zwei weitere Termine.«
    »Entschuldige mich einen Moment«, murmle ich.
    In der Küche versuche ich erneut, Raoul zu erreichen. Er hebt nicht ab. Zwanzig Minuten nach zwei. Der Sekundenzeiger der Küchenuhr schleppt sich vorwärts, und ich fühle mich ebenfalls erschöpft und kraftlos.
    »Wolltest du nicht auch einen Termin, Ruth?«, ruft Maja.
    Ich geselle mich wieder zu ihr, sie blättert in ihrem Kalender. »Weil wir grad dabei sind: Ich kann dir den kommenden Dienstag anbieten.«
    Sie bietet mir einen Tag an wie ein Stück Kuchen. Was erwidert man darauf? Ist ein neues Leben auch Teil deines Portfolios?
    »Oder kommenden Donnerstag, zehn Uhr.«
    »Ich kann dir nichts versprechen«, sage ich, als sei Maja auf meine Versprechen angewiesen. Sie buhlt um einen Termin, denke ich, und dass sich das gut anfühlt. Mein erstes förmliches Rendezvous mit Maja.
    »Glaubst du, dass Raoul heute noch kommt?«, fragt sie.
    Ich springe dienstbeflissen auf und kontrolliere in der Küche das Display meines Handys. Kein Anruf in Abwesenheit,keine Kurznachricht, keine Langnachricht. Nichts. Ein Stechen in der Magengegend. Es wird ihm doch nichts passiert sein? Raoul ist sonst immer zu erreichen, er telefoniert zwar nicht gerne, doch er schaltet sein Handy nie aus. Es hängt an seiner Gürtelschlaufe in einem lächerlichen Etui wie ein nach außen verlagertes Organ. Ich öffne eine neue Kurznachricht, schreibe, »Komm schnell, du hast Besuch«, und drücke auf »senden«.
    Als ich dieses Mal ins Wohnzimmer zurückkehre, ist die alte Ordnung im Raum zerstört. Das Sofa ist verwaist, und über dem Couchtisch wölbt sich ein jeansblauer Hintern. Maja kniet auf allen vieren vor der Couch, den Kopf gesenkt wie ein Schaf auf der Weide, während sie mit der rechten Hand den Boden abtastet. Ich möchte sie warnen, ich habe dort heute noch nicht gewischt, es könnte staubig sein! In wenigen Schritten bin ich bei ihr, sie aber stoppt mich mit der Hand und fleht: »Bitte nicht weiter, keinen Schritt!«
    Sie spricht wieder mit ihrer alten, ein wenig schrillen Maja-Stimme, und das nährt meine Hoffnung, doch da ist immer noch eine Distanz zwischen uns, die mir Sorgen bereitet.
    Ihrer Position nach zu urteilen, hat Maja ihre Kontaktlinse verloren.
    »Ich helfe dir«, sage ich, und während wir den Boden abtasten, suche ich zugleich nach der alten Maja, die ich nicht verlieren will, und ich erinnere mich an die Zeit, als sie noch eine Brille trug und unglücklich darüber war, dass ihre Augen versagten, wo doch alles andere an ihrem Körper überdurchschnittlich gut zu funktionieren schien. Ich sah ihr regelmäßig dabei zu, wie sie die Linse auf der Kuppe ihres Zeigefingers platzierte, wie das Auge die Linse förmlich ansaugte, wenn sie nur den Finger nah genug dran hielt. Ein seltsamer magnetischerEffekt, der nie aufhörte, mich zu faszinieren. Wie sie blinzelte und sagte: »Ich sehe dich«, und dann lachten wir beide, und ich

Weitere Kostenlose Bücher