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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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in Ordnung?« Obwohl ich weiß, dass nichts in Ordnung ist.
    »Es geht so«, sagt Judith. »Ich weiß nicht, ob du’s mitbekommen hast, aber Phil ist arbeitslos.« Sie seufzt. »Seit drei Monaten hängt er zu Hause herum, immer schlecht gelaunt.«
    »Oh nein«, sage ich, tatsächlich aber freue ich mich, dass es nicht nur mich erwischt hat.
    »Raoul ist im Krankenhaus«, sage ich schnell, um ein Gleichgewicht des Schreckens herzustellen. »Sie wissen nicht, was ihm fehlt. Die Unsicherheit ist am schlimmsten zu ertragen.« Eine Floskel, die sich pelzig anfühlt im Mund.
    »Oh, mein Gott«, sagt Judith und ich kann hören, wie sie vor Schreck die Luft einzieht. Ich bin dankbar für so viel Mitgefühl, das hätte ich ihr gar nicht zugetraut.
    Judith fragt, in welchem Krankenhaus er liege, im Allgemeinen Krankenhaus, im Göttlichen Heiland oder in Lainz, und ich erwidere, »in der Magenbuch-Klinik«, und sie zieht wieder die Luft ein und sagt: »Oje.«
    »Wieso oje?«
    »Ach, nichts.«
    Sie habe Moritz dort entbunden, sagt sie nach einer Weile. Und dass man ihr trotz unerträglicher Schmerzen eine Epiduralanästhesie verweigert hätte. Der Arzt habe sie immer wieder vertröstet, später, später, es müsse noch die Blutprobe ausgewertet werden, und plötzlich sei der Zeitpunkt verstrichen gewesen, an dem man die Spritze hätte verabreichen können – stattdessen seien die Presswehen gekommen und bald darauf das Kind. Am langen Arm habe man sie verhungern lassen, sagt sie. Ich versuche, nur mit halbem Ohr hinzuhören, werfe immer wieder jaja ein, damit sie nicht nachfragt, ob ich noch dran bin.
    Es gelingt uns, einen Termin zu vereinbaren. Donnerstag, drei Uhr. Die Verabschiedung ist ein Desaster. Früher haben wir gesagt: Ich umarme dich. Oder: Ich küsse dich. Nach der langen Sendepause kommt das nicht mehr in Frage. Ich spüre, dass Judith ebenfalls unschlüssig ist. Um das Schweigen zu brechen, sage ich: »Auf Wiederhören.« Das ist einfach lächerlich, so als telefonierte ich mit dem Einwohnermeldeamt. Ich lege schnell auf.
    Dieses Mal empfängt mich das Krankenhaus bereits wie eine alte Bekannte. Ich schlüpfe durch das gläserne Tor, schlänglemich durch die Menschentrauben. Ich spüre Blicke, die mich abtasten, eine seltsame, süße Macht, und ich bemühe mich, gerade zu gehen, stolz, die Schultern durchgedrückt. Ich trage einen Strapsgürtel und feine Strümpfe, gut verborgen unter dem Paillettenrock, der bei jedem Schritt verführerisch knistert wie Schokoladenpapier.
    Schon von weitem erkenne ich, dass die Tür zum Zimmer 415 offen steht, gleich kann ich Raoul überraschen, nur noch wenige Schritte, doch zu meiner Enttäuschung ist das Zimmer leer, niemand da, der mich begrüßt. Alles ist wieder an seinem Platz: Die Besucherstühle, die Fernbedienung, selbst die Fernsehzeitungen liegen sorgsam gestapelt auf Hugos Nachttisch. Von Raouls Tisch geht ein beißender Verwesungsgeruch aus, es sind Majas Lilien, die gesamte Abstellfläche ist vom Blütenstaub orange gesprenkelt, und ich habe große Lust, die Blumen in den Abfall zu werfen. Stattdessen setze ich mich auf Raouls Bett, ganz vorsichtig, um das frisch gespannte Laken nicht zu zerknittern.
    Draußen vor dem Fenster erstreckt sich eine triste Krankenhauskulisse; betonierte Wege, ein überdachter Müllplatz, eine Krankenwageneinfahrt. Wie soll man gesund werden, wenn doch alles, was man zu sehen bekommt, krank ist. Sofort fühle ich mich schwer, die Müdigkeit, mein Herz, das in einem wirren Rhythmus klopft, vielleicht bin ja ich es, die krank ist, und nicht Raoul.
    Eine Krankenschwester betritt den Raum, Hugo humpelt hinterher. Was haben sie nur mit ihm gemacht? Gestern Abend blätterte er noch fröhlich in der Programmzeitschrift, heute ist er ein Menschenbündel, das kaum aufrecht gehen kann. Als er sich nähert, sehe ich, dass es gar nicht Hugo ist, es ist ein andererMann, ein neuer Hugo, der sich seufzend auf das Bett gegenüber setzt und die Pantoffel abstreift. An seinen Waden schlängeln sich blauschwarze Venen die Beine hinauf. Das Krankenhaus-Nachthemd raubt ihm den letzten Rest seiner Würde.
    Die Krankenschwester nimmt einen Bogen und einen Stift zur Hand und beginnt mit dem Verhör.
    »Wie hat es angefangen«, fragt sie und sieht ihn streng an.
    »Wie, was«, sagt der neue Herr Hugo und verzieht den Mund.
    »Wie es angefangen hat«, wiederholt die Krankenschwester lauter und betont jede Silbe.
    »Hier«, sagt der neue Hugo und fasst sich an

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