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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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Sampler für die Intensivstation zusammenzustellen. Und für Wachkoma-Patienten. Er überreicht mir eine Visitenkarte. »Ein wenig Klassik kann nicht schaden«, sagt er. »Vielleicht fällt Ihnen ja eine Arie von Suppé ein, die man verwendenkönnte.« Und weil ich es sei, sagt Pater Gerfried, könne er mir den Palliativ-Sampler heute sogar um neun Euro überlassen, neun Euro, ein sensationelles Schnäppchen.
    »Aber ich sterbe doch nicht«, sage ich.
    »Wir sterben jeden Tag ein bisschen, liebes Fräulein«, sagt er und steckt die CD mit einem beleidigten Seufzen zurück in die Aktentasche.
    Ich betrachte die Visitenkarte, die er mir in die Hand gedrückt hat.
    P. Gerfried Weberhofer, CRCV
    Ich überlege, was die Buchstaben nach dem Namen bedeuten mögen, ein Ordenskürzel, aber von welcher Gemeinschaft? Ich rufe mir die Orden ins Gedächtnis, von denen ich schon einmal gehört habe, Kapuziner, Benediktiner, Jesuiten, Dominikaner, ich zerbreche mir den Kopf, vergesse vollkommen, was ich in diesem Krankenzimmer zu suchen habe, und erst als Raoul in seinem buntgestreiften Morgenmantel in der Tür steht, fällt es mir wieder ein.

15
    Die Sonne hat abgenommen, schmal und schwach hockt sie in der Baumkrone. Der Weg, der durch den Krankenhausgarten führt, schlängelt sich an Bänken und Büschen vorbei, sogar ein Biotop gibt es, das hatte ich vom Kaminsky-Park aus nie gesehen. Der Teich ist mit orangefarbenen Baustellen-Absperrbändern eingezäunt. Wir bleiben vor der Abzäunung stehen und sehen auf die Seerosen, die auf der Wasseroberfläche schaukeln.
    »Sie wollen mich loswerden«, sagt Raoul. Die Enttäuschung ist ihm ins Gesicht geschrieben. »Heute musste ich in die Abteilung für Psychosomatik. Die glauben, ich spinne. Aber sieh es dir selbst an!«
    Er streift seinen Morgenmantel bis zum Ellenbogen hoch und präsentiert mir seinen Unterarm. Ein weißer Unterarm mit dunklen Härchen. Ich kann nichts Ungewöhnliches entdecken und drehe den Arm im Licht der müden Sonne, um ihn genauer zu betrachten.
    »Knallrot und voller Pusteln«, sagt Raoul.
    »Wo?«
    »Gestern Abend«, sagt er, »war es so. Glaubst du mir auch nicht? Es brannte wie die Hölle. Ich wollte mir die Haut abziehen. Beinahe hätte ich mir mit dem Messer hineingeschnitten.«
    »Ich glaube dir«, sage ich und streiche mit meinem Zeigefinger sanft über seinen Arm, male fremde Zeichen auf dieHaut, Zeichen der Hoffnung, vielleicht hat auch unsere Liebe eine Chance, möglicherweise ist sie nicht dem Tod geweiht wie jene junge Frau auf der Palliativstation.
    Ich lasse Raouls Arm los, und er sieht mich an wie ein kleiner Junge. So als wüsste ich, was jetzt zu tun sei. Du bist jetzt meine Familie, hat er gesagt. Ein Fluch. Doch selbst eine Mutter kann nicht verhindern, dass ihr Junge auszieht, wenn es ihm reicht. Vielleicht ist der Hautschmerz ja der Kitt, der uns zusammenhalten soll. Ein Gedanke, den ich sofort wieder verwerfe, noch ehe er fertig gedacht ist. Denn genauso gut kann er das Lösungsmittel sein, das uns endgültig trennt.
    »Komm mit nach Hause«, sage ich und zupfe ihn an seinem Morgenmantel.
    »Ich muss noch zwei Tage bleiben«, sagt er ernst. »Allergie-Test, MRT, großes Blutbild, Antikörper.«
    Raoul ist bereits ganz der professionelle Patient, ich wundere mich, wie schnell diese Metamorphose vonstattenging.
    »Und danach bist du rundumerneuert, und ich bekomme einen guten Preis für dich«, sage ich.
    »Im Eine-Welt-Laden«, sagt er und lacht. Aber es wirkt bemüht, so als kämpfe sich das Lachen erst seinen Weg durch zahlreiche Schichten aus Schmerz und Qual. Täusche ich mich, oder sind auch die Fältchen rund um seine Augen tiefer geworden, sein Gesicht hagerer und härter?
    Und dann traue ich mich und sage etwas, das ich eigentlich nicht sagen wollte. »Maja – was läuft da eigentlich? Sei ehrlich.«
    »Laufen?« Er sieht mich erstaunt an. »Wovon sprichst du?«
    Mir ist plötzlich flau im Magen, alles hier ist ansteckend,sogar die Worte sind es. So schnell wird man vom Besucher zum Patienten.
    »Wie siehst du überhaupt aus?« Er deutet auf mein Gesicht. »Wer hat dich so angemalt?« Da ist ein aggressiver Unterton in seiner Stimme, hat er das siebte Flittchen nicht erkannt?
    Ich lasse nicht locker.
    »Maja«, wiederhole ich. »Was läuft da? Wieso kommt sie dich im Krankenhaus besuchen?«
    Er gestikuliert, während er nach Worten sucht.
    »Weil ich nicht zum Beratungstermin gekommen bin, deshalb hat sie mich besucht. Was glaubst

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