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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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die wirkliche Patientin, und Raoul hat bloß das Krankenhausbett für mich vorgewärmt. Vielleicht sieht der Pater durch meine Verkleidung hindurch und hat bereits die verrotteten Anteile meiner Seele beziffert. Vielleicht ist es ein Naturgesetz, dass jene, die Kranke beobachten, am Ende selbst krank werden.
    Ich lehne mich zurück und versuche, mich zu entspannen. Endlich ein richtiges Bett, eine hervorragende Matratze. Wenn du hierbleibst, sage ich mir, dann kümmern sie sich um dich wie um einen Säugling. Du wirst genährt, geschaukelt und herumgefahren, gemessen und gewogen, und du musst nicht selbst putzen, zweimal am Tag wird das Zimmer desinfiziert. Du arbeitest nicht für andere, sondern alle hier arbeiten für dich. Du muss nur kooperieren, den Mund öffnen, wenn sie es dir sagen, deine Blutgefäße zugänglich machen, sonst nichts.
    »Welche Musik hören Sie gerne«, fragt Pater Gerfried.
    »Franz von Suppé«, sage ich, auch wenn der einzige Ton, den ich bisher von ihm vernommen habe, das Gurren der Tauben war, die sich auf seinem Glatzkopf niederließen.
    »Ah, eine Operetten-Liebhaberin«, sagt Pater Gerfried. Er scheint überrascht. »Ich dachte, Sie bevorzugen Rockmusik. Sie sehen aus, als würden Sie – nun, als würden Sie gerne tanzen.«
    Ich deute ein Nicken an.
    »Tanzen Sie«, begeistert er sich, »tanzen Sie, solange Sie nochkönnen.« Er betreue zahlreiche Patienten, die es versäumt hätten zu tanzen. Nun sei es zu spät, sie lägen auf der Palliativstation, und dort werde nur noch gelindert, nicht mehr geheilt, schon gar nicht getanzt.
    Vor einiger Zeit habe er dort eine junge Frau besucht, so jung wie ich, aber in fürchterlichem Zustand. Ihr Leben hing nicht einmal mehr am seidenen Faden, es war höchstens noch eine Faser, die sie mit dem irdischen Dasein verband. Auf ihrem Nachtkästchen stand ein Radio, daraus ertönte »Es lebe der Zentralfriedhof« von Wolfgang Ambros. Eine befremdliche Koinzidenz, sagt er, ein tödlicher Sarkasmus gewissermaßen, doch das habe ihn auf eine Idee gebracht.
    »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Er klappt seine Aktentasche auf.
    »Der erste Palliativ-Sampler der Geschichte«, sagt er und legt mir eine CD auf den Bauch. »›Knocking on heaven’s door‹, ›This is the end‹, ›If I saw you in heaven‹ – Songs zum besseren Einschlafen.«
    »Es ist ein Experiment«, sagt er, als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck bemerkt. »Wenn wir Embryos im Mutterleib mit Mozart bespielen, weshalb sollte es dann ein Frevel sein, dasselbe mit Sterbenden zu versuchen? Wäre es nicht schön, von Musik in den Himmel getragen zu werden?«
    Neunzehn Euro neunzig koste die CD – normalerweise. Heute könne er sie mir ausnahmsweise für zwölf Euro anbieten. Weil Mariä Himmelfahrt gerade erst vorbei sei. Was seien schon zwölf Euro, sagt er. Einmal einen großen Kaffee mit Topfengolatsche, schon seien zehn Euro weg.
    »Deswegen gehe ich nicht ins Café«, sage ich.
    Die CD eigne sich überdies perfekt als Geschenk, sagt er.Aber er wolle nicht betteln. Dass nicht alle Mitmenschen seine tätige Nächstenliebe mit Freude quittierten, kränke ihn schon genug, sagt er. Als Krankenhausseelsorger habe er ja einen viel intimeren Zugang zum Leid als seine Kollegen draußen in den Pfarren. Die hätten wenigstens die frohen Sakramente zu spenden; Taufe, Hochzeit, Firmung im Beisein des Bischofs. So etwas könne einen schon durch die schweren Zeiten tragen. Er hingegen arbeite täglich daran, dem Leid einen Sinn abzuringen, ein Ringkampf sei das mitunter. Ich könne mir ja nicht vorstellen, was er tagtäglich erlebe. Und immer dieselbe Leier: dass Gott ein grausamer Regisseur sei, der Familien auseinanderreiße und hoffnungsvolle Karrieren zerstöre, der Eltern von ihren Kindern trenne und Menschen von ihren Hoffnungen.
    »Da ist was dran«, sage ich.
    Pater Gerfried seufzt. »Ein amerikanischer Philosoph hat gesagt: Wenn du zu Hause in deiner Hundehütte deinen Bernhardiner suchst und keinen siehst, dann ist es vernünftig anzunehmen, dass er nicht da ist. Wenn du dagegen in deiner Hundehütte nach einem winzigen Lebewesen wie einem Bakterium suchst und keines findest, ist es nicht vernünftig anzunehmen, es sei nicht da.«
    »Ein Bakterium ist doch aktiv«, wende ich ein. »Das tut was im Körper.«
    »Wollen Sie sagen, dass Gott nicht wirkt?«
    Gerade in der Musik, sagt er und klopft auf das Cover der CD. Wenn der Palliativ-Sampler gut laufe, könne er sich vorstellen, einen

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