Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption
hinzufügen, doch Shepard stoppt ihn mit einer Geste, denn sein privates Telefon vibriert. Er dreht sich wieder zum Fenster um.
»Shepard.«
»Hier Coleman.«
»Moment bitte.«
Shepard gibt einen Code in die Tastatur des Telefons ein. Wenn es nötig ist, ein Übernahmeangebot abzuwehren oder diskrete Erkundigungen über Konkurrenten einzuholen, wendet er sich an zwei große Detekteien, die Pinkerton Agency in Los Angeles und Stowe Brothers in Boston. Ist der Gegenstand seiner Neugier indes heiklerer Natur, so ist Coleman der Mann der Stunde. Ein Piepen ertönt, am Gehäuse des Telefons leuchtet ein blaues Lämpchen auf.
»Cole? Jetzt schieß los, die Verbindung ist gesichert.«
»Wir haben halb Nevada umgekrempelt. Vorläufig ohne Ergebnis.«
»Und die Polizei?«
»Fischt im Trüben. Keine Spur des Mörders. Wir sollten ihnen die Personenbeschreibung zukommen lassen, die wir anhand deines Telefonats mit Barbara ausgearbeitet haben.«
»Auf keinen Fall.«
»Was soll ich dann tun?«
»Die andere Hälfte von Nevada umkrempeln. Der Kerl ist ein Riese mit hörbarem Südstaatenakzent. Er muss irgendwelche Spuren hinterlassen haben. Welche Mittel stehen dir zur Verfügung?«
»Ich habe rund dreißig Mann auf dem Gelände. Sie durchkämmen die Motels und fahren sämtliche Straßen zwischen Las Vegas, Phoenix und Fresno ab.«
»Nimm dir dreimal so viel Leute und dehn den Suchradius aus. Zeig das Phantombild überall rum. Ich will diesen Hurensohn haben.«
»Und wenn wir ihn haben?«
»Rührt ihr ihn nicht an. Ihr sperrt ihn irgendwo ein und ruft mich an. Mach ja keinen Unsinn, Cole.«
»Warte, eben kommt ein Anruf.«
Shepard hört, wie Coleman sich auf der zweiten Leitung meldet. Er spricht gemächlich. Ihn bringt nichts aus der Ruhe. Coleman bringt nie etwas aus der Ruhe.
»Shep? Einer meiner Männer hat in einem Motel mit Videoüberwachung eine Spur deines Mörders gefunden. Das Blue Mountain in der Nähe von Wasatch.«
»Wo ist das?«
»Ein Kaff kurz vor der Grenze nach Idaho. Dein Typ hat dort eine Nacht verbracht. Er entspricht der Beschreibung. Anscheinend war er ziemlich aufgeregt und hat nach Schweiß gestunken wie Leute, die lang unterwegs sind. Außerdem hatte er Flecken an der Hose. Rost- oder Blutspuren. Der Motelbesitzer sagt, er hat nach Oregon telefoniert. Und kurz vor Tagesanbruch ist er abgefahren.«
»Haben wir ein Bild?«
»Ich schick’s dir gleich.«
Ein Signal ertönt, und das Fax setzt sich in Gang. Langsam speit der Drucker ein Foto aus. Shepard zieht es heraus und betrachtet die Gesichtszüge des Mörders, vergleicht es mit dem Bild der jugendlichen Heiminsassen. Es ist der Koloss rechts im Bild.
»Cole? Das ist er.«
»Okay. Ich ruf dich an, wenn ich ihn habe.«
Shepard legt auf. Grant rutscht unruhig auf seinem Sessel hin und her.
»Wer war das?«
»Meine Mutter.«
»Deine Mutter ist gestorben, als du acht warst.«
»Nein. Sie trägt ein Pradakostüm für zweitausend Dollar und nervt mich mit Fragen, auf die ich nicht antworten will.«
»Du bist dir natürlich darüber im Klaren, was die Anwerbung von Söldnern und die Ausübung von Selbstjustiz ein Mitglied der Anwaltskammer kosten kann.«
»Wenn das nicht reicht, engagiere ich auch noch die Mafia oder die Kartelle, mir egal.«
Grant betrachtet die zerknitterten Kissen auf dem Sofa, die leeren Flaschen und Essensreste auf dem Couchtisch.
»Du brauchst Erholung, Shep.«
»Ich brauche meine Frau.«
Shepard zündet sich eine Zigarette an. Er bläst den Rauch gegen die Fensterscheibe. Er ist der Erschöpfung nahe.
»Weißt du, dass ich als Teenager eine Zeit lang in einem Heim für straffällige Jugendliche war?«
»Nein, woher. Von deiner Kindheit hast du ja nie was erzählt. Ich weiß nur, dass du adoptiert wurdest und in Illinois aufgewachsen bist. Oder in Alabama. So oder so warst du damals minderjährig, also steht davon nichts in deiner Akte.«
Grant steht auf und geht zur Tür.
»Grant?«
»Ja?«
»Wie war ich vor meiner Krankheit?«
Grant dreht sich noch einmal um.
»Ein verdammter Idiot warst du.«
»So schlimm?«
»Noch schlimmer. Ein eiskaltes Arbeitstier. Du hast maximal vier Stunden geschlafen, nur einmal am Tag gegessen und konntest hundert Stunden in der Woche arbeiten. Nie müde, nie emotional, nie zufrieden. Was dich zum besten Geschäftsanwalt an der Westküste gemacht hat und unserer Kanzlei sehr zugute gekommen ist – heute haben wir Dependancen in aller Welt und beschäftigen über
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