Suenden der Vergangenheit
hätten sie ihn bereits ausgesaugt, ihm das Blut und die Seele gleichermaßen geraubt.
Und das alles wegen der Kreatur, die hinter Jocelyn und Gunther stand. Das Wesen, das die ganze Zeit grinste, seine Vampirzähne zeigte, seine gelben Augen, sein raubtierhaftes Vampirgesicht.
Das Gesicht seines Vaters.
Es war natürlich unmöglich. Sein Verstand weigerte sich, zu akzeptieren, was ihm seine Augen zeigten. Aber in Anbetracht der Kreatur dort vor ihm, konnte er die Wahrheit nicht länger leugnen.
Und die Wahrheit war qualvoll.
Eigentlich tat der Schmerz ihm gut. Er hielt ihn vom Weinen ab. Er hielt ihn davon ab, vor Pein oder Grauen laut aufzuschreien. Rupert Giles hatte geglaubt, das Grauen bereits kennen gelernt zu haben, an jenem Tag, als er nach Hause gekommen war und die Frau, die er liebte, tot auf dem Bett vorgefunden hatte, umgeben von Rosen, mit gebrochenem Genick. Dieser Schmerz hatte ihn fast umgebracht.
Aber das...
Unmöglich, dachte er wieder. Sein Vater war ein Wächter gewesen, genau wie seine Großmutter eine Wächterin gewesen war. Aber obwohl Giles nicht zu Hause gewesen war, als sein Vater starb, hatte er an der Beerdigung teilgenommen. Er hatte gesehen, wie der Sarg in die Erde gesenkt wurde.
Sein Vater konnte kein Vampir sein.
Aber das würde wohl jeder Angehörige eines Untoten sagen, wenn er plötzlich seinem blutrünstigen Verwandten gegenüberstände. Es kann nicht sein, würde er sagen. Ich habe gesehen, wie er begraben wurde.
Aber das war das Eigenartige an den Toten, wusste Giles.
Manchmal kommen sie wieder.
Inmitten des Grauens und der inneren Leere konnte Giles nicht dem Gesicht entkommen, das höhnisch auf ihn herabsah. Er konnte der vertrauten Stimme nicht entrinnen, die leise zu den Vampiren sprach, die auf ihn einschlugen, und sie warnte, ihn nicht zu schwer zu verletzen.
Ganz gleich, wie oft er auch versuchte, es vor sich selbst zu leugnen, es gab nur eine mögliche Antwort. Die Kreatur war einst sein Vater gewesen. Bevor ein Dämon von der Hülle des Leichnams seines Vaters Besitz ergriffen, die Gedanken und Erinnerungen seines Vaters gestohlen hatte - die Seele war natürlich längst fort gewesen -, aber ganz gleich, wie gut er die Wahrheit kannte, so wusste er doch, dass dies das Gesicht seines Vaters war.
Jocelyn schlug ihn erneut, und Giles reagierte nicht, außer dass er blutete. Sie leckte seinen Mund ab, und er versuchte nicht einmal, sie daran zu hindern. Was hätte es auch für einen Sinn?
Aber es gab noch einen anderen Grund für seine Teilnahmslosigkeit. Sie sollten glauben, dass er noch immer unter dem Einfluss der Glamourdämonin stand. Schon kurz nachdem sich der Nebel in seinem Kopf gelichtet hatte, war ihm klar geworden, dass Karen Blaisdell kein Mensch war. Er wusste, was sie ihm angetan hatte, und er hatte sich darauf eingelassen, sich dem fast freiwillig hingegeben. Sie war sehr verführerisch und so verständnisvoll in diesen stillen, schmerzhaften Tagen gewesen. Er hatte sie nicht geliebt. Zumindest dieser Schmerz blieb ihm erspart.
Aber er hätte es vielleicht getan, eines Tages.
Jetzt spielte es keine Rolle mehr. Nichts spielte noch eine Rolle, abgesehen von seiner Entschlossenheit, diesem Monster, das jetzt den Körper seines Vaters trug, nicht zu zeigen, dass er wieder bei klarem Verstand war.
»Ah, Rupert, du bist ein guter Junge«, seufzte die Kreatur. »Es ist so schön, dich bluten zu sehen. Nach all den Sorgen, die du mir gemacht hast, du undankbarer kleiner Bastard, ist es schön, dir endlich alles heimzahlen zu können.«
Giles antwortete nicht, weil er fürchtete, sich so womöglich zu verraten, aber er hätte ohnehin nicht antworten können. Was sollte er diesem Ungeheuer auch sagen? Zu seinen Lebzeiten war sein Vater ein strenger Traditionalist gewesen, dessen Erwartungen an seinen Sohn niemals von Logik oder Vernunft geprägt zu sein schienen. Zwischen ihnen hatte es eine Distanz gegeben, die nie überbrückt worden war, nicht einmal dann, als Giles sein Schicksal akzeptiert hatte und dem Rat der Wächter beigetreten war.
Jetzt wünschte er sich nur, die Gelegenheit zu einem letzten Gespräch mit seinem Vater gehabt zu haben. Vor dem Ende. Nur einen Moment, in dem er vielleicht eine Gemeinsamkeit gefunden hätte. Sofern dies überhaupt möglich gewesen wäre. Aber er machte sich nichts vor. Die meiste Zeit seines Lebens hatte Giles seinen Vater für einen herzlosen Tyrannen gehalten.
Ein derartiges Schicksal hätte er ihm
Weitere Kostenlose Bücher