Sündenfall: Roman (German Edition)
geweigert hat, seine Studenten zu bespitzeln«, erklärte der Polizist. »Als ich mich dann um einen Studienplatz beworben habe, stellte sich heraus, dass meine ganze Familie als unerwünscht eingestuft worden war, und ich wurde abgelehnt.«
Janusz nickte anteilnehmend: So etwas war nicht selten vorgekommen.
»Also ist es wie folgt passiert, kolego «, verkündete der Polizist und sah ihm geradewegs in die Augen. »Struk war einfach nur ein alter Mann, der die Treppe runtergefallen ist. Eine Alltäglichkeit. Wir haben gründlich ermittelt, jedoch keine Hinweise auf eine Straftat gefunden.« Er warf die aufgerauchte Zigarette weg. »Natürlich ist es möglich, dass jemand dem alten Dreckskerl einen Schubs verpasst hat.« Er trat die Kippe aus. »Aber wissen Sie was? Vielleicht ist der Welt damit gedient, wenn es einen esbek weniger gibt.«
Er öffnete das Revers von Janusz’ Trenchcoat und steckte den Pass in seine Hemdtasche. »Ihr kleiner Urlaub an den Seen ist vorbei. Wir bringen Sie jetzt zum Flughafen. Falls Sie Ihre Sachen aus dem Hotel zurückmöchten, schicken wir sie Ihnen nach.«
Plötzlich fiel Janusz ein, dass er ja morgen Bobek hatte sehen wollen. Er wurde von Enttäuschung, gefolgt von einem heftigen Schuldgefühl, ergriffen. Nun würde er vom Flughafen aus Marta anrufen und vor ihr zu Kreuze kriechen müssen.
Zurück im Auto, drehte der vorgesetzte Polizist sich um und sah Janusz in die Augen. »Mein Kollege Osip hier ist einverstanden, Sie nicht wegen Angriffs auf einen Polizeibeamten zu belangen«, sagte er. »Doch falls Sie Ihre Meinung ändern sollten, blühen Ihnen zehn Jahre im Gefängnis Mokotów.«
Osip drehte sich um und warf Janusz einen drohenden Blick zu. Sein Kiefer war angeschwollen und nahm bereits einen beeindruckenden Violettton an.
»Falls Sie also ein Ferienhaus suchen, dann besser nicht hier in dieser Gegend«, fuhr der Polizist fort.
»Ich würde es in Bulgarien versuchen«, riet er und drehte sich um, während Osip den Motor anließ. »Angeblich kommt es bald groß in Mode.«
FÜNFUNDZWANZIG
A m Vormittag nach Janusz’ Zusammenstoß mit einem Polizisten in Gorodnik stand Kershaw gerade in ihrer Küche und beobachtete, wie ein Mechaniker im Blaumann den Boiler reparierte, als ihr Mobiltelefon läutete.
Es war ihr Cousin Jason, der meldete, Janusz Kiszkas Name sei auf der Passagierliste eines Fluges aufgetaucht, der in zwanzig Minuten in Stansted landen würde. Jason, der bei der Spezialabteilung arbeitete, zu bitten, Kiszka nach dessen Flucht auf die Fahndungsliste zu setzen, war vermutlich das Riskanteste, was Kershaw je im Leben getan hatte. Doch sie hatte sich gesagt, dass ihr einfach nicht die Zeit für den Papierkrieg blieb, den eine offizielle Anfrage nach sich gezogen hätte.
Nun raste sie in ihrem fünf Jahre alten Ford Ka über die M11. Immer wieder wanderte ihr Blick zur Uhr auf dem Armaturenbrett. Sie hatte keine Chance, den Flughafen vor der Landung der Maschine zu erreichen. Allerdings bestand die Möglichkeit, dass man Kiszka wegen der Nennung auf der Fahndungsliste gründlich in die Mangel nehmen würde, was hieß, dass sie vielleicht noch rechtzeitig da sein konnte, bevor er die Zollkontrolle passierte und verschwand. Vielleicht würde er auch nur nach Hause in seine Wohnung in Highbury fahren. Doch nachdem er ihr schon einmal durch die Lappen gegangen war, wollte sie nichts mehr dem Zufall überlassen.
Als sie am Terminal eintraf, war das Flugzeug vor einer Viertelstunde gelandet. Deshalb stellte sie das Auto einfach mit laufender Warnblinkanlage vor der Ankunftshalle ab, warf ihr Fahrtenbuch mit dem Polizeiemblem aufs Armaturenbrett und hastete ins Gebäude.
Nach Atem ringend – wann war sie das letzte Mal beim Joggen gewesen? Vor vier oder fünf Wochen? – lauerte sie im Gewühl der Menschen, die vor der Zollkontrolle warteten. Ungeduldige Freunde und Angehörige mischten sich mit gelangweilten Taxifahrern, die Namensschilder hochhielten.
Fünfundzwanzig Minuten später, als sie schon glaubte, ihn verpasst zu haben, ragte endlich seine zerklüftete Visage über den Köpfen der anderen Fluggäste auf. Er trug einen alten Trenchcoat und hatte nur zwei von Alkoholflaschen und Zigarettenstangen überquellende Einkaufstüten bei sich. Die Beulen in seinem Gesicht verblassten zwar allmählich, doch offenbar hatte er eine neue von der Größe eines Schokoladeneis an der rechten Schläfe abbekommen.
Unaufgefordert lief sie neben ihm her, als er auf den
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