Sündenfall: Roman (German Edition)
seiner Brust stärker. Pater Kuba wurde als »antisowjetischer, regierungsfeindlicher Extremist« beschrieben, als »erklärter Feind des Sozialismus« , dessen Predigten in voll besetzten Gotteshäusern »die Arbeiter zu Unruhen aufwiegeln« .
Das letzte Mal wurde Kuba im Mai 1986 erwähnt. Nachdem drei streikende Stahlarbeiter verhaftet und übel zugerichtet worden waren, hatte Zamorski der SB eine besonders spannende Mitteilung gemacht. Pater Kuba habe ihm erzählt, er werde in seiner nächsten Predigt weiter gehen als bisher und nicht nur die ZOMO und die milicja zur Mäßigung aufrufen. Stattdessen werde er über das »moralische Vakuum« im Herzen des Kommunismus sprechen und das Recht der Partei auf die Regierungsmacht in Frage stellen. Janusz schnappte unwillkürlich nach Luft und blickte auf. Am liebsten hätte er nicht mehr weitergelesen.
Der Eintrag stammte vom 18. Mai 1986. Darin hieß es, dass Papie ż ek nach einem Hinweis von Kollaborateur Sroka heimlich festgenommen und einer »Sondervernehmung« zugeführt worden sei. Der letzte Satz lautete: »Papie ż ek weigerte sich, die faktische Tragweite seiner Lage zur Kenntnis zu nehmen, und entschied sich stattdessen für eine Taufe mit Untertauchen des ganzen Körpers.« Janusz musste gegen die Übelkeit ankämpfen – Pater Kubas verstümmelte Leiche war, das Gesicht nach unten, im Fluss Bia ł a aufgefunden worden.
Er lehnte sich zurück, rief sich Zamorskis vertrauenerweckendes Gesicht ins Gedächtnis und fragte sich, was wohl im Kopf dieses Mannes vorging. Zumindest hatte Janusz nun nicht mehr die geringsten Zweifel daran, dass der Mann mit Hut nicht auf eigene Rechnung handelte.
Inzwischen hatte Pawel aufgegessen und machte sich über die nächste Dose Bier her.
Janusz wies auf die Unterlagen. »Was hattest du damit vor?«
»Keine Ahnung«, antwortete er. »Inzwischen ist mir alles egal. Ich will nur noch, dass er mich und Nika in Ruhe lässt.«
Janusz fuhr sich mit der Hand durchs Haar. So naiv möchte ich auch mal sein , dachte er.
»Falls du glaubst, du kannst diese Papiere einfach zurückgeben und sie auf diese Weise als Verhandlungsmasse benutzen, vergiss es. Du weißt zu viel. Ganz gleich, was die dir auch versprechen, sie werden dich trotzdem umbringen – und Weronika vielleicht auch.«
Janusz beugte sich vor, um Blickkontakt mit ihm aufzunehmen, und schlug einen eindringlichen Ton an. »Deine einzige Hoffnung ist, das Zeug an die Presse weiterzuleiten. Aber wir müssen schnell sein. Übermorgen findet die Wahl statt.«
Pawel starrte zu Boden und nickte schließlich. »Ich tue alles, was nötig ist, um Nika zu beschützen.«
Kurz fragte sich Janusz, wo er die Dokumente verstecken sollte – nur für den Fall, dass der Kerl mit Hut ihm wieder einen Besuch abstattete.
»Hör zu«, meinte er und wies mit dem Kopf aufs Fenster. »Entweder sind sie dir hierher gefolgt, oder sie überwachen diese Wohnung.« Pawel wollte erschrocken aufspringen, doch Janusz bedeutete ihm, sitzen zu bleiben. »Wenn du die Feuerleiter nimmst, müsste eigentlich alles klappen. Unten kletterst du dann über den Holzzaun rechts von dir – dahinter führt eine Seitengasse zum Drayton Park.« Er stand auf und nahm ein paar Geldscheine aus der Tasche. »Zur Holloway Road sind es fünf Minuten Fußweg. Dort kannst du ein Taxi anhalten.«
»Dzi ę kuj ę bardzo« , sagte Pawel und bedachte Janusz mit einem traurigen Blick.
»Dann fährst du mit Weronika sofort zum Flughafen Luton«, sprach Janusz weiter und drückte ihm den Großteil des Geldes in die Hand. »Stansted ist zu gefährlich, dort könnten sie Spitzel postiert haben. Nehmt den ersten Flug nach Warschau, Krakau oder Lodsch.«
Er musterte Pawels Gesicht – der Mann sah aus, als hätte er nur etwa zwei Drittel davon verstanden.
»Nach der Landung gehst du zum Zeitungskiosk, fragst nach der meistgekauften Tageszeitung und fährst mit dem Taxi direkt in die Redaktion.« Pawel nickte. »Erzähl ihnen alles, was du mir erzählt hast, und sag ihnen, die Papiere lägen bei einem Anwalt, seien jedoch unterwegs. Ich komme in ein paar Stunden nach.«
Pawel verzog besorgt das Gesicht. »Was ist mit Struk? Werden die nicht glauben, dass ich ihn ermordet habe?«
»Nicht, wenn wir dir einen guten Anwalt besorgen. Außerdem sollte das im Moment deine geringste Sorge sein, Pawel. Das Wichtigste ist, dass die Sache noch vor der Wahl öffentlich gemacht wird. Wenn die Zeitungen die Geschichte bringen, wird Zamorski
Weitere Kostenlose Bücher