Sündenfall: Roman (German Edition)
entfernt befand sich ein Stapel abgewetzter Alukoffer. Offenbar wollte der psychol verreisen, dachte Janusz.
Der Mann wies Janusz mit einem Nicken an, auf einem Bürostuhl mit Rollen Platz zu nehmen. Die Glasscheiben der hundert Jahre alten Holztüren neben ihm boten eine triste Aussicht auf den sich träge und braun dahinschlängelnden Leamouth, der von heftigen Windböen und sintflutartigem Regen gepeitscht wurde. Wenn Janusz den Kopf reckte, konnte er einen Blick auf die etwa hundert Meter entfernte Einmündung in die Themse erhaschen. Draußen auf einer eisernen Galerie stand eine verrostete Winde, ein Überbleibsel aus früherer Zeit, als Schiffe unten auf dem Fluss die Rohmaterialien geliefert und die fertige Ware abtransportiert hatten.
Eine Tür, hinter der sich offenbar das ehemalige Büro des Betriebsleiters verbarg, öffnete sich, und eine Gestalt kam heraus. Endlich hatte Janusz den Mann vor sich, den er durch halb Danzig verfolgt hatte – den Mann mit Hut, der von der Überwachungskamera im Hotelaufzug gefilmt worden war. Auf den Fußballen wippend, schlenderte er auf Janusz zu, drehte ihn mit dem Stuhl ins gelbliche Licht, das zum Fenster hereinfiel, und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Seine zusammengedrängten Züge trugen eine Mischung aus Neugier und Verachtung.
Janusz schätzte ihn auf Ende zwanzig. Er war kräftig gebaut, und die ausgeprägten Trapezmuskeln zwischen Hals und Schlüsselbein wiesen ihn als klassischen Bodybuilding-Fanatiker aus. Doch trotz seiner ausgeprägten Muskulatur hatte er das Gesicht eines Kindes, das gerne Fliegen die Flügel ausreißt. Der Rand seiner rechten Ohrmuschel war eingerissen. Ein großes Stück Knorpel fehlte, und nach der Rötung und der Blutkruste zu urteilen, war die Verletzung jüngeren Datums. Janusz erinnerte sich an Bielska, der im Wald bei Kosyk mit der Schrotflinte auf seinen Verfolger geschossen hatte, und wurde von Schadenfreude ergriffen. Sie haben den Mistkerl tatsächlich erwischt, Panie!
»Warum, verdammte Scheiße, ist er nicht in Handschellen, kretyn ?«, brüllte der Mann den Ukrainer aus heiterem Himmel an. Dieser zuckte die Achseln und nuschelte etwas. Dann wandte sich der Mann mit Hut wieder Janusz zu und schnippte ihm lässig mit den Fingerspitzen an die Schläfe, eine Geste, die demütigender war als jeder Schlag. Janusz stellte fest, dass seine Wangen mit Aknenarben bedeckt waren – vermutlich eine Nebenwirkung des Missbrauchs von Steroiden.
»Fessle die alte Schwuchtel«, befahl er grinsend, »aber erst, wenn er uns gegeben hat, was wir wollen.« Wieder stieg Janusz ein Geruch in die Nase, und ihm wurde klar, dass es derselbe war wie vorhin. Er überlegte, was es wohl sein mochte, war aber in seiner Aufregung nicht in der Lage, sich zu konzentrieren.
»Zuerst will ich Adamski und das Mädchen sehen«, knurrte er, worauf der psychol sich auf ihn stürzte.
»Du hast hier gar nichts zu melden, du Wichser!«, brüllte er, dass der Speichel in alle Richtungen sprühte. Er zog eine Pistole aus der Jacke, entsicherte sie und hielt sie Janusz dicht unterhalb des Auges an den Wangenknochen. An der Markierung am Lauf erkannte Janusz, dass es sich um eine CZ 75 handelte, eine tschechische Neun-Millimeter-Pistole, inzwischen Kult. Er konnte sogar das Öl riechen, mit dem die Waffe gepflegt wurde. Ein hohes Surren erfüllte seinen Schädel. Mittlerweile hatte er ein tranceartiges Stadium erreicht, in dem es ihm eigentlich scheißegal war, was nun geschehen würde.
»Vermutlich wäre es klüger, mich nicht abzuknallen, bevor du nicht sicher bist, dass ich das Dokument auch wirklich mitgebracht habe«, meinte er. Das an das Arschloch einer Katze erinnernde Schmollmündchen des Mannes bewegte sich zornig, aber er ließ die Waffe sinken.
Janusz hatte seinen Plan, Nowak zu alarmieren, noch nicht aufgegeben – wenn es ihm gelang, den psychol so zu provozieren, dass er ihn angriff, würde er es vielleicht schaffen, die Anruf-Taste des Telefons in seiner Brusttasche zu drücken, die noch immer auf Nowaks Nummer eingestellt war. Falls er ranging – bitte, lieber Gott, geh ran –, würde Janusz aus voller Kehle alles herausschreien, was er über Zamorski wusste. Er hoffte zwar nicht mehr auf Rettung, doch Nowak musste die Hintergründe erfahren.
Er fing den Blick des psychol auf, wies mit dem Kopf auf dessen verletztes Ohr und machte ein besorgtes Gesicht. »Das sieht aber übel aus«, sagte er anteilnehmend. »Zwölfer-Schrot?«
Er duckte sich
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