Sündenfall: Roman (German Edition)
Autopsie stellt.«
Nachdem er Kershaw mit einer ausladenden Geste, als verehre er ihr einen Strauß Veilchen, ein Paar Latexhandschuhe überreicht hatte, wies er mit ausgebreiteten Armen auf die Leiche.
»Unsere Tote«, begann er mit sonorer Stimme, »ist eine weiße Frau, die sich zu Lebzeiten offenbar guter Gesundheit erfreut hat. Es weist nichts auf eine chronische Erkrankung hin.« Er sprach, als habe er einen Raum voller Medizinstudenten vor sich.
»Wie alt war sie schätzungsweise?«, fragte Kershaw, während sie die Finger in den zweiten Handschuh schob.
»Das können Sie genauso gut erraten wie ich«, sagte er und neigte den Kopf zur Seite. Als er ihren zweifelnden Blick bemerkte, fügte er hinzu: »Ich fürchte, von innen ist es auch nicht leichter, das Alter eines Menschen zu schätzen, als von außen.«
Als Kershaw Dr. Waterhouse über die Schulter sah, stellte sie fest, dass das Gruftiemädchen an der nächsten Bahre stand. Mit einer riesigen gebogenen Nadel nähte sie den Brustkorb eines dicken Mannes mit tätowiertem Bizeps zu. Seine Gesichtsfarbe war so gesund, dass Kershaw fast erwartete, dass er sich jeden Moment aufsetzen und ihr die Nadel aus der Hand reißen würde.
»Sie war eindeutig im gebärfähigen Alter«, sagte Waterhouse. Er hielt inne. »Ich habe einen Fötus in utero gefunden, der nach meinen Berechnungen darauf hinweist, dass die Dame zum Todeszeitpunkt im späten ersten Drittel einer Schwangerschaft war.«
Kershaws Augenbrauen fuhren nach oben. Wenn der Freund des Mädchens keine Lust gehabt hatte, Daddy zu werden, hätte die Schwangerschaft Anlass eines Streits mit tödlichem Ausgang sein können. Sie holte Notizblock und Stift aus der Kitteltasche. »Wie viele Wochen sind das, Doktor?«
»Nach dem Fötus zu urteilen, etwa neun bis zwölf«, erwiderte Waterhouse nachdenklich. »Möchten Sie ihn vielleicht sehen?«
»Nein, schon in Ordnung, danke«, antwortete Kershaw mit einem verlegenen Lächeln. »Haben Sie etwas Verdächtiges festgestellt? Anzeichen von Gewalt?«
Waterhouse musterte sie schmunzelnd über den Rand seiner Lesebrille hinweg und hob einen Finger. Geduld . »Da die Leiche aus dem Fluss geborgen wurde, wollen wir zuerst Ertrinken als mögliche Todesursache in Betracht ziehen«, meinte er im Tonfall eines Menschen, der ein Picknick am Ufer vorschlägt, und schlenderte, die Hände auf dem Rücken verschränkt, neben der Bahre auf und ab.
Kershaw musste ein Aufstöhnen unterdrücken – offenbar würde sie sich nicht vor einer ausführlichen Vorlesung drücken können. Im nächsten Moment traf sich ihr Blick mit dem der Gruftieassistentin. Die leicht hochgezogene Augenbraue des Mädchens verriet alles – ja, er war immer so.
»Und mit welchen Hinweisen rechnen wir bei der Obduktion, wenn Tod durch Ertrinken vorliegt, Detective?«, sprach Waterhouse weiter.
»Wasser in der Lunge?«, erwiderte Kershaw. Sie verkniff sich den gelangweilt-sarkastischen Unterton. Wenn das so weiterging, würde sie den Rest des Tages hier verbringen.
»Aber woher wissen wir, ob das Wasser vor oder nach dem Tod in die Lunge eingedrungen ist?«
Er blieb stehen und sah Kershaw an, die die Achseln zuckte.
»Es wird Sie überraschen zu hören, dass wir derzeit noch keine Möglichkeit haben, die Reihenfolge der Ereignisse zu bestimmen«, verkündete Waterhouse, als habe er diesen ungewöhnlichen Sachverhalt soeben selbst entdeckt. »Wenn wir annehmen, dass unsere tote Dame sechs oder vielleicht sogar sieben Tage lang im Wasser gelegen hat, ist es durchaus im Bereich des Möglichen, dass die gewaltigen Mengen Flusswasser, Seetang und Sand, die ich in Lunge und Magen gefunden habe, erst nach ihrem Tod dorthin geraten sind.«
»Und wie finden wir dann heraus, ob sie ertrunken ist oder nicht?«
»Nun, wir könnten alle möglichen Analysen durchführen, um in Erfahrung zu bringen, ob Diatome – das ist eine Art von Flussalgen – in ihre Organe eingedrungen sind.« Er verzog zweifelnd das Gesicht. »Doch da auch das keine eindeutigen Ergebnisse bringt, halte ich es für eine leichtfertige Verschwendung von Steuergeldern.«
Man konnte nicht feststellen, ob jemand ertrunken war? Also waren die Fernsehserien, in denen ein genialer Pathologe ganz allein einen verzwickten Fall aufklärte, an dem sich die Polizei die Zähne ausgebissen hatte, nichts als Mist, dachte Kershaw. Sie stellte fest, dass Waterhouse sie abwartend ansah, als rechne er mit einer Antwort.
»Also … wenn man Tod durch
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