Sündenfall: Roman (German Edition)
Vorstellung, die Kontrolle über ihren Verstand zu verlieren, gruselte ihr.
»Glauben Sie, sie hat zu viel Ecstasy erwischt?«, fragte sie.
»Ich würde nicht im Traum daran denken, voreilige Schlussfolgerungen zu ziehen«, entgegnete Waterhouse. »Doch es ist möglich, dass sie an Nierenversagen, ausgelöst durch eine Überdosis MDMA , gestorben ist, ja.«
Kershaw versuchte, sich die Szene vorzustellen. Wie war die junge Frau nackt in der Themse geendet? Vielleicht nach einem Zug durch die Gemeinde mit ihrem Freund. Sie waren schlafen gegangen, und er war dann neben einer Toten aufgewacht. Falls er ihr die Drogen gegeben oder verkauft hatte, hätte er leicht in Panik geraten und sie in den Fluss werfen können.
»Wie hat sich die Überdosis für sie angefühlt?«
»Der massive Serotoninansturm im Gehirn hat sicher zu einem Zusammenbruch der Temperaturregelung des Körpers geführt, so wie bei einem Brand, der unkontrolliert durchs Haus tobt.« Waterhouse fing an, die Organe des Mädchens im Spülbecken in einem blauen Plastikbeutel zu verstauen. »Wenn die Körpertemperatur neununddreißig Grad überschreitet, kommt es zu Nervenschäden. Bei vierzig Grad leidet man vermutlich an Krämpfen, gefolgt von einem Koma. Und bei einundvierzig Grad fangen die Organe an, ihren Dienst zu versagen.«
Er reichte den Beutel der Gruftieassistentin, die ihn wortlos entgegennahm.
»Eine elende Art zu sterben«, sagte Kershaw. »Sie war doch sicher nicht mehr in der Lage, zur Themse zu gehen und zu springen, oder?«
Waterhouse neigte den Kopf zur Seite. »Das hängt davon ab, in welchem Stadium der Überdosis sie es getan hat – vorausgesetzt, es ist wirklich so gewesen.«
Er fing an, sich die Hände zu waschen. Kershaw sah, dass das Gruftiemädchen hinter ihm die volle Tüte in die Bauchhöhle des toten Mädchens legte und sie hin und her schob, damit sie passte.
Waterhouse zog die Handschuhe aus und schaute auf die Uhr. »Ich fürchte, ich muss Sie verlassen. Ich habe eine Gerichtsverhandlung im Old Bailey.«
Kershaw schlug vor, ihn zur U-Bahn zu begleiten. Fünf Minuten später kam er, in einem Tweedsakko und mit einem Aktenkoffer in der Hand, aus der Garderobe.
Mit einer eleganten Geste hielt er ihr die Tür auf. »Also glauben Sie, dass wir es nur mit zu vielen Ecstasy-Tabletten zu tun haben?«, fragte sie, als sie draußen in der kalten Luft standen.
»Nicht unbedingt«, erwiderte er. »Letzten Monat war ich auf einem Kongress in Berlin und habe dort einen sehr interessanten Toxikologen kennengelernt. Er hat mir erzählt, dass Todesfälle wie dieser in Europa seit einiger Zeit massenhaft auftreten.«
Inzwischen gingen sie den Bürgersteig entlang. Als Waterhouse bemerkte, dass Kershaw mit seinen langen Schritten nicht mithalten konnte, wurde er langsamer.
»Die toxikologische Untersuchung ergab, dass die Opfer alle gefälschtes Ecstasy konsumiert hatten, eine Substanz mit dem Namen Paramethoxyamphetamin.« Er bedachte sie mit einem spitzbübischen Blick. »Sie werden sich freuen zu hören, dass es allgemein als PMA bezeichnet wird.«
Kershaw wünschte, sie hätte sich Notizen machen können. Wie sollte sie sich das alles bloß merken? »Ist die Wirkung dieselbe wie bei Ecstasy?«
»Ähnlich, allerdings ist das Zeug viel gefährlicher. Der Kollege hat mir erzählt, vor kurzem seien drei junge Frauen in einer einzigen Nacht daran gestorben.«
Kershaw zog die Augenbrauen hoch. Wenn das Mädchen sich als Opfer eines Drogenrings entpuppte, konnte es noch immer ein wichtiger Fall werden.
Waterhouse eilte über die Straße, geriet beinahe mit einem heranrasenden Lastwagen in Konflikt und winkte nur lässig, als der Fahrer zornig auf die Hupe drückte. Kershaw lief ihm nach.
»Warum nehmen die Leute dann PMA , wenn es so gefährlich ist?«, keuchte sie.
»Häufig tun sie es, ohne es zu wissen«, entgegnete Waterhouse. »Anscheinend geben die Dealer es einfach als Ecstasy aus. Außerdem dauert es länger, bis die Wirkung einsetzt, obwohl es viel toxischer ist.« Er schüttelte den Kopf. »Und deshalb schluckt der bedauernswerte Konsument oft noch weitere Tabletten, in dem Glauben, dass er ein schwächeres Produkt gekauft hat.«
Kershaw sah, dass sie nur noch wenige Meter vom Eingang des U-Bahnhofs trennten, und dabei hatte sie noch so viele Fragen.
»Aber die Todesfälle wegen PMA haben sich doch alle in Europa ereignet«, sagte sie. »Was hat das mit DB 16 zu tun?«
»In Ihrer E-Mail haben Sie erwähnt, die
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