Sündenfall: Roman (German Edition)
trank Zitronentee aus einem Glas. Er trug ein frisch gebügeltes Hemd ohne Krawatte und eine Windjacke: die typische Kleidung eines polnischen Arbeiters seiner Generation. Er stand auf, kam ihnen entgegen, umarmte den Priester fest und küsste ihn auf beide Wangen. Der Mann war beinahe einen Kopf kleiner als Janusz, hatte aber die kräftige, kompakte Figur eines Mannes, der sein Leben lang körperlich gearbeitet hatte. Nach kurzem Zögern hielt er Janusz nach englischer Sitte die Hand hin.
»Konstanty Nowak.« Janusz schüttelte die Hand, allerdings ohne sein Widerstreben zu verhehlen.
»Möchtet ihr einen Tee?«, fragte Nowak. »Einer der Jungen in der Küche war so nett, mir eine Kanne zu kochen.«
»Für mich nicht, Konstanty«, erwiderte der Priester. »Ich muss zurück zum Empfang – ich will mit Monsignore Zielinski sprechen.«
»Tu das, Piotr. Und schau, dass du Dubrowy einen dicken Scheck abluchst. Der kann es sich leisten.«
Janusz kannte den Namen aus der Zeitung. Dubrowy hatte zu Hause Millionen, ja, sogar Milliarden mit Telekommunikation verdient.
Pater Pietruzki, der sich inzwischen wieder ein wenig gefasst hatte, legte Janusz zögernd die Hand auf die Schulter. »Kommst du nach dem Gespräch zu mir?«, fragte er und erhielt ein angedeutetes Nicken als Antwort.
Janusz schätzte Nowak auf etwa fünfundsechzig. Sein Schädel war so glatt wie ein Hühnerei und mit einem verräterischen bläulichen Schatten bedeckt, ein Zeichen, dass er sich täglich rasierte. Heutzutage war vielen Männern ein vollständig kahler Kopf lieber als die Tonsur eines mittelalterlichen Mönchs. Janusz hätte sich beinahe eitel übers Haar gestrichen, das zum Glück noch dicht war, obwohl es rapide ergraute.
Nowak forderte Janusz auf, sich zu setzen, und bot ihm noch einmal Tee an, den er wieder ablehnte. Nachdem er sich selbst aus einer weißen Porzellankanne eingeschenkt hatte, fragte er: »Wie fanden Sie den Empfang? Pater Pietruzki hat wirklich ein Händchen dafür, bei seinen Wohltätigkeitsveranstaltungen die oberen Zehntausend zusammenzutrommeln.« Der Akzent des Mannes hatte etwas Abgehacktes, so als stamme er aus dem äußersten Osten von Polen.
»Ich bin nicht wegen der szampan und Kanapees hier«, entgegnete Janusz und reckte das Kinn. »Pater Pietruzki hat mir einen Auftrag zugeschanzt, ein Mädchen musste sterben, und jetzt stellt sich heraus, dass ich nicht einmal weiß, für wen ich arbeite. Was zum Teufel soll dieser Mist?«
Ihm war klar, dass sich seine derbe Ausdrucksweise, insbesondere gegenüber einem Mann in Nowaks Alter, ganz und gar nicht gehörte, doch das war ihm gleichgültig. Justyna war tot, und die Lügen, die man ihm aufgetischt hatte, gaben ihm das Recht, unhöflich zu sein.
Nowak schien nicht eingeschnappt zu sein. »Ich stelle fest, dass Sie ein Mann sind, der – wie sagt man so schön? – kein Blatt vor den Mund nimmt.« Er trank einen Schluck Tee und sah Janusz aus haselnussbraunen Augen an.
»Ich bin ein alter Freund von Edward Zamorski«, fuhr er fort.
Janusz saß da wie vom Donner gerührt. Zamorski! Verflucht und zugenäht!
»Edward Zamorski, der Präsidentschaftskandidat ?«
Nowak nickte mit ernster Miene.
»Was zum Teufel hat Zamorski mit einer verschwundenen Kellnerin in London zu tun?«, erkundigte sich Janusz und machte eine ungläubige Handbewegung.
»Das ist eine lange Geschichte.« Nowak neigte den Kopf zur Seite und stellte die Tasse auf den Unterteller. »Wahrscheinlich sollte ich Ihnen zuerst erzählen, wie Edward und ich einander kennengelernt haben.«
Janusz zuckte die Achseln.
»Wir sind uns 1972 in einem Zug unterwegs zu unserem neuen Arbeitsplatz in den Stahlwerken von Nowa Huta begegnet«, sprach Nowak weiter.
Janusz kannte Huta, eine riesige Industriestadt, aus dem Boden gestampft am Rand von Krakau und mit dem typischen kommunistischen Flair »Das Neue Stahlwerk« genannt.
»Zehntausende von Glückspilzen vom Lande, so wie ich und Edward, wurden angeworben.« Nowaks Tonfall war spöttisch und amüsiert. »Sie können sich die Lockangebote sicher vorstellen – Wohnungen für alle, Urlaub am Schwarzen Meer, ein Arbeiterparadies. Der übliche sowjetische Müll eben.« Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung.
Aus der Küche nebenan drang das Klirren von Tellern herüber, die gerade in der Spülmaschine verstaut wurden.
»Jedenfalls«, fuhr Nowak fort, »war es ein schwachsinniger Standort für ein Stahlwerk – keine Kohle und kein Erz im Umkreis
Weitere Kostenlose Bücher