Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
waren ihr mittlerweile vertraut. Die Rufe der Männer, die an Deck ihrer Arbeit nachgingen, das leise Plätschern der Wellen, die sanft gegen die Schiffswand schlugen. Aber unter die bekannten Laute mischte sich Stimmengewirr, das aus der Tiefe des Schiffsbauches zu ihr heraufdrang. Ein unterdrückter Schrei. Hilfloses Winseln. Sie erhob sich, um besser horchen zu können. Tatsächlich, irgendwo jammerte eine geschundene Kreatur, unterbrochen von scharfen Ausrufen, hart, ohne jedes Mitleid. Thea hörte nur den Klang, nicht die Worte, aber sie war überzeugt, dass sich auch Omar dort unten aufhielt. Ging er gerade seinen Geschäften nach? Indem er einen Menschen quälte? Warum? War es ein ungehorsamer Handlanger, der abgestraft wurde? Oder war dies Omars Art, Neuigkeiten in Erfahrung zu bringen?
Auf leisen Sohlen verließ Thea Omars Gemach und folgte den Klagelauten. Zum Glück waren die meisten Männer an Deck beschäftigt, und sie begegnete niemandem, bis die Stimmen und Schreie hinter einer schweren Luke immer lauter wurden.
»Gnade, Herr!«, winselte ein Mann. »Ich verspreche dir, ich trete dir nie mehr unter die Augen. Nie mehr belästige ich dich!«
Jemand lachte laut.
»Gnade!«, hörte sie Omar zischen. »Glaubst du wirklich, Verräter verdienen Gnade? Vor allem, wenn sie ein doppeltes Spiel im Sinn haben?« Der Knall eines Peitschenriemens zerschnitt die Luft, ein lauter Aufschrei, der in ein Heulen überging. »Du wirst uns noch auf ganz andere Weise dienlich sein.« Omar lachte.
»Ich tue alles, was du verlangst, Herr!«, wimmerte der Gefolterte. Irgendwie kam Thea die Stimme bekannt vor. Vorsichtig schob sie die Luke auf und wagte einen Blick nach unten.
Sie erkannte Omar und zwei weitere Männer, die einen Nackten umstanden, der mit den Händen an einen Deckenbalken gefesselt war, so hoch, dass er nur mit den Zehenspitzen den Boden erreichte. Sein Leib war von Peitschenstriemen übersät, aber das war noch nicht alles. Seine Hände waren blutig. Thea erkannte, dass man ihm die beiden kleinen Finger abgeschnitten hatte. Obwohl sie hart im Nehmen war und selbst erlebt hatte, wie ihr Vater mit Verrätern umgegangen war, musste sie gegen aufkommende Übelkeit ankämpfen. Erst recht, als sie dem Mann ins Gesicht sah. Es war einer der Stallknechte aus Mikhails Haus. Ihr Verdacht bestätigte sich – es gab einen Verräter. Die Frage war nur, warum Omar ihn derart bestrafte und damit wertlos machte. Peitschenstriemen ließen sich unter der Kleidung verbergen, aber zwei fehlende Finger fielen sofort ins Auge. Der Bedienstete konnte nie mehr in Mikhails Haus zurückkehren, ohne sich bohrenden Fragen stellen zu müssen.
Behutsam schloss Thea die Luke wieder. Sie hatte genug gesehen. Genug, um zu wissen, dass sie Omar lieber freundlich und scheinbar unwissend begegnen sollte …
Vorsichtig schlich sie zurück in sein Schlafgemach und wartete.
Nachdem sie nun wusste, was zwei Decks unter ihr geschah, hörte sich das Wimmern und Schreien ganz anders an. Thea ertappte sich dabei, wie sie auf Veränderungen lauschte. Irgendwann verebbten die Schreie, und Thea fragte sich, ob der Gefangene tot oder nur bewusstlos war.
Kurz darauf hörte sie Schritte vor der Tür. Omar trat ein. Er musterte sie von oben bis unten. Grimmig.
»Du weißt, was ich von dir erwarte«, herrschte er sie an. »Wo ist der Teppich?«
»Ich dachte, den hättest du dir in der letzten Nacht selbst geholt«, antwortete Thea gelassen.
Der Anflug eines Lächelns huschte über Omars Gesicht.
»Sehr scharfsinnig.«
»Warum hast du nicht gewartet?«
Er setzte sich zu ihr aufs Bett, fuhr ihr mit der rechten Hand ungewöhnlich grob durchs Haar, packte ihren Schopf und zog ihren Kopf nach hinten.
»Weil ich immer bekomme, was ich will und wann ich es will. Hast du das verstanden?«
Thea ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, obgleich es sie ärgerte, dass er sie wie ein ungezogenes Kind festhielt.
»Dann hast du den Teppich also?«
»Ja.« Er ließ sie los.
»Und jemanden, der die demotischen Schriftzeichen für dich zu deuten vermag?«
»Auch das.«
»Dann kennst du den Weg nach Djeseru-Sutech?«
Er antwortete ihr nicht, sondern machte sich an der Schnürung ihrer Suckenie zu schaffen. Kurz überlegte Thea, ob sie ihn zurückstoßen, ihm deutlich machen sollte, dass er nicht nach Belieben über sie verfügen konnte. Aber dann gab sie nach. Omar war voller Anspannung, die Misshandlung des Mannes schien ihn ebenso erregt zu haben wie
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