Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
schneller als jedes Ross. Wir müssen hier ausharren. Zwingt die Tiere, sich niederzulegen, und haltet ihnen Tücher vor Augen und Nüstern! Und bedeckt auch eure Gesichter! Wenn wir Glück haben, zieht der Sturm über uns hinweg.«
»Und wenn wir kein Glück haben?«, fragte Thea.
»Wird man irgendwann unsere Gebeine unter Bergen von Sand ausgraben.«
»Er übertreibt wie immer«, warf Said ein. »Wir haben schon einmal einen solchen Sturm überstanden. Tut einfach, was Philip sagt!«
Es war nicht einfach, die unruhigen Pferde zu beruhigen und sie gar zum Niederlegen zu zwingen. Theas Stute versuchte sich wiederholt loszureißen. Erst als Philip beruhigend auf sie einsprach und ihr die Augen verband, folgte sie seinem Befehl. Thea kauerte sich neben der Stute nieder, hüllte den Kopf des Tieres mit ihrem Burnus ein und zog sich selbst das Kopftuch vors Gesicht.
Bertram und die beiden Waffenknechte wickelten sich und die Tiere in ihre Schlafdecken, während Lena sich ebenso wie Thea an ihr Pferd schmiegte. Glücklicherweise befand sich Philip dicht neben ihr, so nahe, dass sie die Wärme seines Körpers spürte. Es war noch immer unerträglich heiß, dennoch fröstelte Lena. Der Wind wurde stärker, erste Sandkörner wirbelten auf, drangen in jede Öffnung. Doch das war nichts gegen die Urgewalt, die sich schneller als jedes galoppierende Pferd näherte. Die Geister der Wüste schienen zu heulen und an den Lebenden zu zerren, um sie ins Totenreich zu holen.
Philip legte einen Arm um Lena. Er raunte ihr beruhigende Worte zu, doch sie verstand ihn nicht, zu laut tobte der herannahende Sturm.
Als der tosende Windhauch Lena erfasste, wurde es schier unerträglich. Auf einmal wusste sie, warum die Araber diesen Sturm Giftwind nannten. Der feine Sand hüllte alles ein, stach ihr wie mit tausend Nadeln in die bloßen Hände. Sie schob sie rasch unter den Burnus, gleichzeitig darum besorgt, dass der Wind das Tuch nicht vom Kopf ihres Pferdes riss. Das Tier zitterte vor Angst, wollte immer wieder in Panik aufspringen, doch sie drückte seinen Kopf nieder, zwang es zur Ruhe. Theas Stute war unruhiger. Sie wieherte, warf den Kopf hoch. Trotz des heulenden Windes hörte Lena die Räuberin fluchen. Es schien sie alle Kraft zu kosten, das Pferd festzuhalten.
Der glühend heiße Sandsturm raubte allen die Luft zum Atmen. Ähnlich mussten sich die Feuerstürme in der Hölle anfühlen. Immer mehr Sand peitschte über Lenas Rücken, während der Wind an ihren Gewändern zerrte, den feinen Staub durch den Stoff trieb, bis sie die Sandkörner auf der bloßen Haut spürte. Trotz des Tuches vor dem Gesicht kämpfte sie um jeden Atemzug, glaubte mehr als einmal, ersticken zu müssen. Ihre Stute zitterte immer heftiger. Noch nie hatte Lena ein Pferd so voller Angst erlebt, so furchtsam, dass es nicht einmal mehr zu fliehen versuchte.
Ganz anders Theas Stute. Deren Wiehern wurde immer lauter, fast schon zu einem verzweifelten Geschrei. Und dann, Lena wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, ging ein Ruck durch den Wüstenboden. Thea hatte ihre Stute nicht länger halten können. Das Tier hatte sich losgerissen, war aufgesprungen und galoppierte voller Panik in den Sturm hinein. Thea fluchte. Ein weiteres Pferd wieherte, Lena glaubte, Ruperts Stimme zu hören. Ob es half, ein arabisches Vollblut mit deutschen Verwünschungen zu beruhigen?
Trotz ihrer Kleidung hatte Lena das Gefühl, dem Sand nackt ausgeliefert zu sein. Die feinen Körner scheuerten ihr über die Haut, rieben sie wund. Und der Sturm heulte noch immer. Würde er jemals wieder enden? Sie wandte sich an Philip. »Wie lange noch?«, rief sie durch den tosenden Sturm.
»Das kann Stunden dauern.«
Stunden! Hätte sie ihn nur nicht gefragt! Sie fühlte, wie er seinen Arm fester um sie legte, sie an sich zog.
»Alles wird gut«, hörte sie ihn sagen.
Alles wird gut. Alles wird gut … Sie klammerte sich geradezu an diese Worte. Alles wird gut …
Und dann fing sie an zu beten. Still und stumm.
Heilige Mutter Gottes, unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir. Sie stellte sich vor, eine schützende Hand breite sich über sie, halte den Sturm ab, schütze sie vor der Gewalt des Höllenwindes. Immerzu wiederholte sie im Geist den Satz Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir – so lange, bis der Satz nur noch aus Wortfetzen bestand, ihren Geist lähmte, aber damit auch die Angst vertrieb. Stundenlang kreisten ihre Gedanken um sinnlos gewordene Wendungen, die ihr
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