Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
gefragt, warum diese Verhüllung von den sogenannten anständigen Frauen erwartet wird, sobald sie keine unschuldigen Jungfern mehr sind?«
Lena schüttelte den Kopf. Es war für sie eine Selbstverständlichkeit gewesen. Ihr Haar mit einer Haube zu bedecken, galt für sie als ein Zeichen von Würde, bezeugte es doch den Schritt in einen neuen Lebensabschnitt.
»Weil das Haar einer Frau eine starke Macht ausübt«, antwortete Thea. »Es raubt den Männern den Verstand und macht sie zu willenlosen Sklaven. Deshalb haben sie Angst vor Frauen wie mir.«
»Glaubst du nicht, dass sie eher Angst vor dir haben, weil du so brutal sein kannst?«
»Das erregt sie doch nur. Hast du eigentlich nie die Blicke wahrgenommen, mit denen dein Mann mich misst, wenn er glaubt, du merkst es nicht?«
Lena senkte die Lider. Sie wusste genau, was Thea meinte.
»Dennoch wird er dir widerstehen«, sagte sie mit Nachdruck.
»Wie kannst du dir so sicher sein?«
»Er mag dich ansehen, es mag ihn auch erregen, aber die Früchte ernte ich. Jede Nacht, falls du es genau wissen willst.« Sie lächelte die Räuberin überlegen an.
»Du tust so unschuldig, bist aber zweideutiger als manche Hure«, bemerkte Thea.
»So? Ich dachte, meine Worte seien eindeutig.«
»Das schätzt er wohl an dir, wie? Dass du ihm an Redegewandtheit gewachsen bist.«
»Vielleicht.«
»Nein«, entschied Thea. »Das allein kann es nicht sein. Das hätte ich auch zuwege gebracht. Was ist so besonders an dir? Wie konntest du ihn für dich gewinnen?«
»Das willst du von mir wissen?«
Thea nickte.
»Wozu?«
»Er war einmal mein. Du hast ihn mir weggenommen. Mir hat noch nie jemand etwas weggenommen.«
»Glaubst du wirklich, er hätte dir jemals gehört? Er ist auch nicht mein. Er gehört nur sich selbst.«
Thea schwieg.
»Ich glaube auch nicht, dass dir noch niemals jemand etwas weggenommen hat«, fuhr Lena fort.
»Wie meinst du das?« Thea runzelte misstrauisch die Stirn.
»Wer so hart erscheint wie du, wer so unerbittlich kämpfen kann, dem muss einmal großes Unrecht widerfahren sein. Ein Unrecht, so schwer und so groß, dass es sich niemals wiederholen darf.« Lena sah Thea unverwandt an. Sie hatte erwartet, dass Thea ihrem Blick auswich, doch sie hielt stand. In den Augen der Räuberin loderte eine starke Seelenflamme. Gelb wie bei allen, die mit sich im Reinen waren, aber mit einem leichten Rotstich, den Lena immer nur in den Augen der Heißblütigen wahrnahm.
»Was siehst du?«, fragte Thea. »Es heißt doch, du könntest die Seelen der Menschen in ihren Augen erkennen. Entdeckst du etwa Leid und Schwäche?«
»Nein, du bist eine starke Frau«, gab Lena zu. »Aber das Feuer der Seele kann auch hell lodern, wenn man voller Zorn ist. Ich habe es einst in den Augen deines Vaters gesehen. Seine Seelenflamme loderte blutrot, aber dann, als ich an seine schlimmste Wunde rührte, verlosch sie zu einem schwachen Glimmen.«
»Du wirst meine Mutter erwähnt haben«, stellte Thea gleichmütig fest. »Das ist keine Kunst. Jeder, der ihn besser kannte, wusste, dass er sich niemals von ihrem Verrat erholt hatte.«
»Sie hat ihn nicht verraten. Er hat sie verraten.«
»Das ist nicht wahr!«, brauste Thea auf. »Er wollte sie zu uns zurückholen, aber sie ist lieber in ihrem Kloster geblieben, hat sich hinter den anderen Betschwestern versteckt, anstatt zu dem Mann, der sie liebte, und zu ihrem Kind zurückzukehren.«
»Sie wollte nicht das Leben einer Gesetzlosen führen.«
Thea sprang auf, riss sich das Tuch vom Haar und schüttelte ihre Mähne, bis sie nicht mehr tropfte.
»Ja, nimm sie nur in Schutz! Du hast dich ja auch bei ihr im Kloster verkrochen, weil du zu feige warst, dich dem Leben zu stellen.«
Auch Lena erhob sich. »Du hast recht«, sagte sie. »Ich war lange Zeit zu feige. Aber dann habe ich meine Furcht überwunden.« Sie trat einen Schritt auf Thea zu. »Weißt du, was echter Mut ist, Thea? Wenn man die Angst nicht verleugnet, wie du es tust, sondern sich ihr stellt und sie überwindet.«
Thea schnaubte verächtlich und ließ Lena einfach stehen.
Die Windsbraut legte am folgenden Tag bereits vor Sonnenaufgang ab. Solange sie noch im Hafen gewesen waren, hatte Lena sich sicher gefühlt, aber dann, auf dem Meer, kehrte ihre Besorgnis zurück. Sie wünschte, Godfryd hätte ihnen nichts von den maurischen Piraten erzählt. Ihr fiel auf, dass die Windsbraut nicht mehr wie sonst in Sichtweite der Küste segelte, sondern auf dem offenen Meer. Sie
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