Sündenheilerin 03 - Die Reise der Sündenheilerin: Historischer Roman (Sündenheilerin-Reihe) (German Edition)
Lena ihm das Wort ab.
Philip legte sein Brotstück auf den Tisch. Zum ersten Mal in ihrer Ehe trat ihm Lena derart gebieterisch entgegen. Wo war die sanftmütige Frau geblieben, die er geheiratet hatte? Obwohl – war sie jemals sanftmütig gewesen? Dass sie Krallen hatte, wusste er längst. Seit jener Nacht auf Burg Birkenfeld, als er sie vor Graf Dietmar warnen wollte und sie ihm nicht geglaubt hatte. Damals war er noch ein Fremder für sie gewesen und hatte Verständnis für ihr Misstrauen ihm gegenüber gehabt. Allerdings hatte sie ihn bereits damals damit zur Weißglut getrieben, dass sie seinen Namen so betonte, als wäre er eine Krankheit. O ja, seine Frau hatte Krallen und Zähne. Zum Glück benutzte sie sie nur selten.
»Keine Sorge, ich erfülle meine Pflichten«, grummelte er.
»Wann?« Schon wieder dieser scharfe Ton, der keine Gnade kannte.
»Heute Nachmittag. Erst Thea, dann Bertram.«
»Thea hat sich gestern den ganzen Tag herumgetrieben. Sie kehrte erst spät zurück. Wer weiß, wann sie heute kommt …«
»Dann eben erst Bertram und dann Thea.« Er holte tief Luft. »Bist du nun zufrieden?«
»Mir scheint, du hast schlechte Laune.«
»Und du verwandelst dich gerade in eine nörgelnde Ehe-frau.«
»Weil ich dich an unangenehme Pflichten erinnere?« Wieder dieser strenge Blick. »Denk daran, Bertram ist dein Knappe, und du hast für Thea die Verantwortung übernommen.«
»Wie wäre es, wenn du mit Thea sprichst? Von Frau zu Frau?«
»Und du glaubst, sie hört auf mich?«
»Immerhin wird sie dir nicht in den Unterleib treten.«
»Das hat dich wohl erheblich in deiner Eitelkeit verletzt.« Ein Lächeln huschte über Lenas Lippen, und auf einmal war alle Strenge verschwunden. Liebevoll strich sie ihm über die Hand. »Also schön. Ich rede mit Thea, und du kümmerst dich um deinen Knappen.«
Philip atmete erleichtert auf und griff abermals nach dem Brot. Er wollte es gerade in den Honig tauchen, als ein lauter Schrei die Luft zerriss. Das Brot fiel ihm aus der Hand. »Sophia!«, rief er, sprang auf und hastete aus der Küche hinaus. Dass Lena ihm folgte, bemerkte er kaum.
Er fand seine Schwester kniend am Tor des Gutes.
»Sophia! Was ist geschehen?«
Wortlos wies sie auf ein sandgelbes Fellbündel in einer Blutlache.
Philip schluckte. Seshat! Am Abend zuvor war sie ihm noch um die Beine gestrichen, ehe sie im Dunkel der Nacht verschwunden war, um Mäuse zu jagen. Sie war keine junge Katze mehr. Er erinnerte sich daran, wie Sophia vor bald zehn Jahren mit der Katze im Arm erschienen war. Ein winziges, hilflos maunzendes Knäuel, verletzt und voller Flöhe. Niemand außer Sophia hatte daran geglaubt, dass das Tierchen überleben würde. Aber Sophia hatte beharrlich für ihren Schützling gekämpft, durchgesetzt, dass sie ihn in ihrem Gemach gesund pflegen durfte und nicht im Stall. Nach und nach hatte Seshat die Herzen aller Hausbewohner und sogar Mikhails Zuneigung gewonnen, der ursprünglich nichts von Tieren in den Wohnbereichen der Menschen gehalten hatte. Philip erinnerte sich daran, wie die Katze am Abend ihrer Ankunft schnurrend auf dem Schoß seines Großvaters gelegen hatte. Nun war sie tot. Irgendjemand hatte ihr die Kehle durchgeschnitten und sie für alle sichtbar auf der Schwelle liegen gelassen. Erst die Schakalpfote, dann die schriftliche Warnung, jetzt das Haustier …
Sophia hob den Blick, Tränen standen ihr in den Augen.
»Warum tun sie so etwas?«, stieß sie hervor. Sie deutete auf das Tor. Der Täter hatte mit dem Blut der Katze arabische Schriftzeichen auf dem Tor hinterlassen. Dieselben Worte wie tags zuvor: Tod allen Ungläubigen!
»Warum Seshat?« Tränen liefen Sophia über die Wangen. Wortlos half Philip seiner Schwester auf, drückte sie an sich, strich ihr über das Haar, während ihm ihre Tränen ins Hemd sickerten. Mittlerweile waren auch die übrigen Familienmitglieder herbeigeeilt.
Philips Mutter schlug vor Schreck die Hand vor den Mund, sein Großvater runzelte besorgt die Stirn. Als Said hinzukam, ließ Philip seine Schwester los.
»Dieselbe Warnung wie gestern«, erklärte er. »Nur ist sie diesmal mit Blut geschrieben.«
»In diesem Land herrschen seltsame Sitten«, hörte er Theas Stimme hinter sich. Zu seinem Erstaunen klang sie weder kalt noch spöttisch. Er glaubte sogar einen Hauch von Betroffenheit in ihren Worten zu hören, aber er musste sich irren. Einer Frau, die bedenkenlos einem Mann den Kopf abschlagen konnte, war ein totes Tier
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