Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Atmung beruhigt hatte. Das hier war ihre einzige Chance. Also würde sie weitermachen, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrach.
Nina wälzte sich auf den Rücken, drückte dann ihre Füße unter die Matratze und schob die Beine nach. Dann spannte sie die Bauchmuskeln an und hob die Beine mit einem Ruck. Wie gut, dass sie regelmäßig Sit-ups machte.
Nach dem dritten Versuch hatte sie es geschafft. Die Matratze hob sich vom Boden, kippte im Zeitlupentempo nach vorn und landete auf Nina. Der faulige Geruch nahm ihr fast den Atem, aber sie fing sich schnell wieder, drehte sich und schob sich unter der erdrückenden Last hervor.
Der Stoff an der Unterseite war verschimmelt. Nina hustete. Schimmel war giftig. Aber gleichzeitig machte er das Gewebe auch mürbe, und das würde ihren Zähnen die Arbeit erleichtern. Vorausgesetzt, sie konnte sich dazu durchringen, in das stinkende Ding zu beißen. Aber zuerst musste sie sich ein klitzekleines bisschen ausruhen. Auf der Seite liegend atmete Nina tief ein und aus. Ihr Blick schweifte über die Unebenheiten im Lehmboden, glitt über ein winziges rautenförmiges Muster, flog weiter, kehrte zurück und dockte noch einmal an den Rauten an. Durch die körperliche Anstrengung hatte sie bis jetzt nichts von der Kälte gespürt, aber nun kribbelten Eisfinger über ihren nackten Rücken. Feine Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf, so als bliese ihr ein Pesthauch ins Genick.
Diese Struktur war nichts Zufälliges. Das waren Buchstaben, winzige Schrift, die die Matratze bisher verborgen hatte. Nina zitterte, als sie dichter an die kleinen Zeichen heranrobbte und den Kopf darüber neigte.
Im trüben Licht der Glühbirne betrachtete sie die in den Lehmboden geritzten Wörter und hörte dabei ihre Zähne aufeinanderklacken.
Sie wusste nicht, ob sie alles exakt entzifferte, aber das war auch nicht wichtig. Der Sinn der Botschaft war unmissverständlich. Ninas Gefühl, dass das hier kein gutes Ende finden würde, verdichtete sich, als sie die Botschaft noch einmal studierte.
HILFE
ICH WURDE AM 30. JANUAR ENTFÜHRT
CAROLIN FRESNEL
4
»Schnell, schnell! Zum Fitting, Leute!« Der junge Mann mit der hochtoupierten Krähennestfrisur winkte die Mädchen an sich vorbei und tupfte sich dann über die Stirn. Es war ein bisschen wie bei den Großen der Branche. Junge Frauen mit überhohen Stöckelschuhen rannten wie aufgescheuchte Hühner planlos hin und her. Andere Frauen, meist älter, kleiner und mit flachem Schuhwerk folgten ihnen und zupften an Kleidung oder Haaren herum.
Lara Birkenfeld saß in einer Ecke auf einem wackligen Klappstuhl und knipste, was das Zeug hielt. Für einen eigenen Fotografen hatte es bei dieser Reportage nicht gereicht. Sie würden später in der Redaktion prüfen müssen, welche ihrer Bilder geeignet waren. Eigentlich hätte sie sich hier, hinter den Kulissen, gar nicht aufhalten dürfen. Aber weil sie für die Tagespresse eine Reportage über die Design-Hochschule Rootdesign schrieb, hatten die Professoren ihr gestattet, Backstage dabei zu sein, Lara allerdings darum gebeten, die Abläufe nicht zu stören. Sie durfte in einer Ecke sitzen, Fotos machen und, wenn sich die Gelegenheit ergab, auch Fragen stellen.
»Wo ist die Braut, verflucht nochmal? Ich werde noch wahnsinnig!« Die Stimme des jungen Mannes überschlug sich fast. Er schaute auf seine Armbanduhr, rollte dann theatralisch mit den Augen und wischte sich erneut über die Stirn. »Krähennest« gab die Hauptrolle in dieser bühnenreifen Vorstellung. Er war Absolvent, und heute fand seine Abschlusspräsentation statt. Der junge Mann hatte zehn Semester Modedesign studiert, und nun ging es um alles. Die Schauen bildeten nicht nur das Finale des Studiums, sondern konnten den Absolventen auch den Weg in eine erfolgreiche Zukunft ebnen; weil neben den Gästen, Professoren und Kommilitonen auch potenzielle Kunden und Vertreter der Wirtschaft anwesend waren.
Lara fragte sich, was eine Braut hier zu suchen hatte, bis ihr einfiel, dass renommierte Designer ihre Show oft mit der Präsentation eines Brautkleides abschlossen. Und dieser Nachwuchsdesigner ahmte seine berühmten Kollegen nach. Krähennest huschte an ihr vorbei und murmelte vor sich hin. »Dass diese Weiber nie pünktlich sein können! Besonders die Professionellen!«
Sie verkniff sich ein amüsiertes Grinsen, weil der junge Mann anscheinend gar nicht bemerkte, welchen Titel er seinem Braut-Model da eben verliehen hatte. Eine »Professionelle«
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