Sündenkreis: Thriller (German Edition)
dünn. Sie ähnelte Kate Moss. Die Haare trug sie auf dem Oberkopf zu einer Art Knödel zusammengedreht, kunstvoll herausgezupfte Strähnchen ringelten sich bis auf die Schultern. Rund um den Dutt prangte ein schmaler Kranz weißer Blüten. Das Model trug ein bodenlanges Kleid mit asymmetrischer Schulterpartie in weißer Spitze. An den Seiten bauschte sich eine Art Gardine, der Saum war ausgefranst.
Das war also die »Braut«. Ob das Mädchen inzwischen angekommen war? Ihr Kleid hing jedenfalls nicht auf dem Ständer, also probierte irgendjemand es wohl gerade an. Lara stellte den Tee ab und fotografierte das Polaroid.
Das Geschnatter wurde lauter und kam näher. Anscheinend neigte sich das Fitting – so wurde die letzte entscheidende Anprobe genannt – dem Ende zu. Lara beeilte sich, in ihre Ecke zurückzukehren. Gleich würde eine Horde gackernder Mädchen, gefolgt von Torben Hoffmann, hereintrippeln und erneut Hektik verbreiten.
Und da waren sie auch schon, eilten zu ihren Kleiderständern und entledigten sich als Erstes ihrer Schuhe. Bis zum Beginn der Schau war es noch eine knappe halbe Stunde, und wie erwartet erschien nun auch der junge Designer. Besser gesagt, er schlich in den Raum. Seine beiden Professoren in ihren dunklen Anzügen folgten ihm wie zwei nachdenkliche Marabus.
»Ich glaube das einfach nicht!« Torben Hoffmann schlug mit der Faust gegen die Wand und massierte sich dann die Hand, als habe er sich verletzt. »Die blöde Kuh kann mich doch nicht einfach so sitzen lassen!« Er drehte sich um, und jetzt sah Lara, dass seine Nase ganz rot war. »Wenn sie wenigstens das Kleid dagelassen hätte! Dann könnte ein anderes Model es vorführen! Aber so bin ich doch geliefert!« Jeder Satz ein Aufschrei. Lara machte sich auf ihrem Klappstuhl klein. Die Szene war mit Sicherheit nicht für sie bestimmt.
»Da will mir jemand eins auswischen!« Mit einem Taschentuch betupfte er sich die Augen. Tor B. Hoff, das große Nachwuchstalent, heulte.
»Torben. So beruhigen Sie sich doch!« Einer der Professoren rüttelte den jungen Mann an der Schulter. »Sie sind keinesfalls ›geliefert‹.« Sein Kollege nickte väterlich. »Wir haben den Entwurf doch vorher gesehen. Sie kommt bestimmt noch. Zur Not bewerten wir die Skizzen.« Lara knipste verstohlen ein Bild und stellte sich dabei Tor B. Hoff vor, wie er die Tagespresse aufschlug und wütend sein verheultes Gesicht betrachtete.
»Und wenn sie nicht kommt?« Torben Hoffmann schnäuzte sich geräuschvoll und fuhr mit weinerlicher Stimme fort. »Warum hat sie das Kleid mitgenommen? Was will sie denn damit?«
»Das wissen wir auch nicht.« Der Professor ließ die Schulter seines Schützlings los, nicht ohne vorher noch einmal fest zuzudrücken. »Die Präsentation beginnt gleich. Kümmern Sie sich um die restlichen Models und achten Sie darauf, dass hier alles wie geplant abläuft. Ich sage draußen Bescheid, dass es ein wenig später wird.« Er eilte hinaus, sein Kollege folgte mit wehenden Frackschößen. Das aufgeregte Geschnatter setzte wieder ein, und Lara erhob sich. Es wurde Zeit, dass sie ihren Platz im Zuschauerraum einnahm. Sie hatte hier genug gesehen.
»… zeigt seine ausgesprochene Sensibilität für außergewöhnliche Volumina, Faltenwürfe und Materialeigenschaften. Der Reiz dieser Kombination besteht darin, dass er mit ganz unterschiedlichen Beziehungen von Kleidungsstück und Körper experimentiert.« Lara schoss ein paar Fotos und wunderte sich, was man in eine Jacke und eine Haremshose alles hineininterpretieren konnte. Sie machte sich eine Notiz, die Professoren nach der Schau zu Details zu befragen. Vielleicht konnte sie den Begleittext der Präsentation kopieren.
»… und nun sehen Sie alle Entwürfe noch einmal in der Gesamtschau!« Theatralische Musik ertönte, die Halle wurde dunkel, ein einzelner Spot richtete sich auf den mit Vorhangstoff drapierten Eingang. Hinter Lara raunte die Menge. Es waren bestimmt zweihundert Leute. Nicht alle hatten einen Sitzplatz bekommen, einige standen hinter den Stuhlreihen und reckten die Hälse, um etwas erkennen zu können.
Das Model, das als Erstes gelaufen war, erschien. Nur wenige Schritte dahinter folgte das zweite Mädchen und nacheinander die anderen, bis sie alle wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht auf dem Laufsteg standen.
Lara betrachtete die Kollektion und dachte über eine raffinierte Überschrift für ihren Artikel nach. Die »Braut« war nicht dabei gewesen, aber keiner hatte
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