Sündenzeit
Drang, wegzusehen, und versuchte, sich keine Regung anmerken zu lassen. Ohne mit der Wimper zu zucken erwiderte sie seinen Blick. Sie hoffte, dass ihre Augen auf ihn genauso rätselhaft wirkten wie seine auf sie. Es fühlte sich an, als würde die Zeit für einen Moment stillstehen, nur einen Herzschlag lang. Sollte sie ihn kennen? Er war immerhin schon öfter in Dublin gewesen. Vielleicht gehörte diese Begegnung zu jenen merkwürdigen Situationen, in denen man einmal auf der Straße aneinander vorbeigegangen war und sich das Gesicht nur flüchtig eingeprägt hatte.
„Hallo“, begrüßte er sie.
Wahrscheinlich hatte sie sich diesen sonderbaren Augenblick nur eingebildet. Er klang freundlich, nicht mehr. Ganz sicher hatte er nicht geglaubt, sie zu kennen.
Caer stand auf und reichte ihm die Hand. „Hallo. Willkommen in Irland. Ich bin Caer Cavannaugh. Wie war Ihr Flug?“
„Zachary Flynn. Danke, alles war bestens.“
Natürlich hat er einen festen, sicheren Händedruck, dachte sie, als er ihre Hand ergriff.
„Caer ist die liebenswürdigste und geduldigste Krankenschwester der Welt“, stellte Sean sie vor.
„Danke“, murmelte sie abwesend, vollkommen von Zach Flynns Gegenwart eingenommen, der sie wiederum nun eingehend betrachtete. Sie hatte das Gefühl, als würde sie erröten. Himmel noch mal, wie albern. Sie wurde doch nicht rot!
„Mr O’Riley ist zu freundlich“, sagte sie ruhig. „Nun, ich werde Sie beide jetzt erst mal allein lassen. Es war nett, Sie kennengelernt zu haben, Mr Flynn.“
„Zach, bitte.“
„Okay, Zach“, wiederholte sie.
„Caer wird uns nach Hause begleiten“, sagte Sean zu Zach. Er klang fast ausgelassen. Wie ein Kind, das gerade ein Spielzeug erhalten hatte, um das es alle anderen beneiden würden.
„Ja, Kat hat etwas davon erwähnt, dass du mit einer Krankenschwester reisen wirst“, erwiderte Zach, der Caer immer noch nicht aus den Augen gelassen hatte. „Waren Sie schon einmal in den Staaten?“, erkundigte er sich bei ihr.
„Noch nie. Das wird eine aufregende Reise für mich“, entgegnete sie freundlich.
„Was für eine Gelegenheit.“
Noch immer hatte er diesen leichten Tonfall an sich. Einnehmend freundlich. Aber hörte sie da nicht auch einen subtil ausgesprochenen Verdacht heraus?
„Das ist es“, bestätigte sie. „Also, wenn Sie mich entschuldigen würden …?“
Sie verließ das Krankenzimmer, und bevor sie durch die Tür war, hörte sie Sean noch sagen: „Das ist doch albern. Dass du den ganzen Weg hierher nur meinetwegen machst.“
Caer ließ die Tür einen Spaltbreit offen und blieb auf dem Flur stehen, um zu lauschen.
„Kat macht sich Sorgen um dich.“
„Sie hätte selbst kommen sollen.“
Caer spürte, wie Zach mit der Antwort zögerte. Schließlich sagte er: „Sie war der Meinung, dass es niemandem guttun würde, wenn sie herkäme.“
„Ach, dieses Kind! Ich liebe sie über alles, aber sie ist einfach nicht von ihrer Meinung abzubringen, dass Amanda mich nur wegen meines Geldes geheiratet hat und auf mein Ableben wartet.“
Zach sagte nichts dazu.
„Sie übertreibt es mit ihrem Beschützerinstinkt.“
„Sie liebt dich“, bemerkte Zach nur.
Caer sah förmlich vor sich, wie Sean ungeduldig mit der freien Hand in der Luft wedelte. „Sie sollte ein bisschen Vertrauen in mich haben. Ich bin schließlich kein vertrottelter alter Tattergreis. Ich bin nicht derart verzweifelt auf Liebe und Zuwendung aus – oder auf Sex.“ Er schwieg kurz. „Die Sache ist die, du bist jetzt hier, um mich zu beschützen. Aber das solltest du nicht. Ich bin nicht derjenige, der in Gefahr schwebt. Du solltest in Newport sein und herausfinden, was zum Teufel mit Eddie passiert ist.“
Caer blieb weiterhin an ihrem Platz vor der Tür stehen und hörte zu.
„Okay, Sean. Je früher wir zurückkehren, desto größer ist die Chance, herauszufinden, was eigentlich los ist.“
Caer hörte eine leichte Ungeduld in Zachs Stimme. Wahrscheinlich brannte er selbst darauf, endlich mit der Suche nach diesem vermissten Mann zu beginnen.
„Ich kann einfach nicht glauben, dass Eddie etwas passiert ist“, sagte Sean.
Darauf folgte Schweigen. Caer war klar, dass Zach offensichtlich anders dachte, Sean aber nicht anlügen wollte.
„Wer zum Teufel hätte denn Interesse daran, einen alten Kauz wie Eddie umzubringen?“, fuhr Sean fort. „Er hat doch niemandem was getan. Die Leute lieben ihn. Vielleicht ist er ja über Bord gefallen und wurde von jemandem
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