Suendiger Hauch
jemals der Tag kommen würde, an dem er von einer Frau beim Schach geschlagen wurde. Er sah in Richtung der Eingangstür, und plötzlich gefror das Lächeln auf seinem Gesicht. Reeves stürzte mit flatternden Rockschößen und dunkelrotem Gesicht auf ihn zu. »Mylord - kommen Sie schnell! Da sind ein paar Männer im Haus, und sie -« Er hielt inne, um Luft zu schöpfen. Seine gepuderte Perücke rutschte zur Seite, als Lucien ihn heftig am Arm packte.
»Was ist los, Mann! Was ist passiert?«
»Die Polizei. Sie ... sie sind wegen Miss Gray gekommen. Ich habe versucht -«
Lucien wollte den Rest gar nicht hören. Er hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und eilte mit heftig pochendem Herzen auf die schwere Eichentür zu, die Hände vor Zorn zu Fäusten geballt. Als er in die Eingangshalle stürmte, bot sich ihm ein Bild des Chaos. Fünf Männer hatten sich um Kathryn gruppiert, Tante Winnie stand daneben, Kathryns Arm fest im Griff, um zu verhindern, dass sie das Haus verließen. Einer der Polizisten versuchte, Winnies Finger von ihrem Arm zu lösen.
»Was, zum Teufel, geht hier vor?« Luciens Stimme dröhnte wie ein Kanonenschuss durch die Halle. Er blieb nur wenige Schritte vor dem stämmigen Mann, der für das Ganze verantwortlich zu sein schien, stehen. »Sie betreten unerlaubt mein Haus«, herrschte er ihn an. »Sie greifen einen meiner Gäste tätlich an. Lassen Sie Miss Gray sofort los.« Bis zu diesem Augenblick hatte er es sorgsam vermieden, Kathryn anzusehen. Er wusste, welche Angst er in ihren Augen lesen und was diese Angst in ihm bewirken würde. Er konnte sich diesen Augenblick der Schwäche einfach nicht erlauben. Er brauchte seinen Verstand und seine gesamte Konzentration für das, was vor ihm lag.
»Ich bedaure die Unannehmlichkeit, Eure Lordschaft. Ich bin Constable Perkins«, erwiderte der stämmige Mann mit den harten, grauen Augen und der großzügig gepuderten Perücke. »Der Mann zu meiner Rechten ist Henry Blakemore, der Dekan des St. Bartholomew’s.« Er war ein wenig schlanker, hatte eine lange, dünne Nase, und sein nach hinten gekämmtes Haar umrahmte sein hageres, blasses Gesicht. »Diese Frau ist Lady Kathryn Grayson. Wir suchen sie schon seit einiger Zeit. Unter einigen Mühen haben wir herausgefunden, dass sie sich hier aufhält. Wir sind gekommen, um sie wieder zurückzubringen.«
Kathryn gab ein leises Wimmern von sich, doch Lucien vermied noch immer, in ihre Richtung zu sehen.
»Der Name dieser Frau ist Kathryn Gray Sie ist Gast meiner Tante. Offensichtlich liegt hier ein Missverständnis vor, und ich rate Ihnen dringend, sofort mein Haus zu verlassen.«
»Es tut mir Leid, Eure Lordschaft, doch ich fürchte, das wird nicht gehen. Dr. Blakemore kennt diese Lady bereits seit mehr als zehn Monaten. Er hat sie zweifelsfrei als die Frau identifiziert, die Ihnen als Kathryn Gray bekannt ist.«
Schließlich blickte er zu Kathryn und sah, wie sie an Tante Winnies Arm schwankte. Zwei Wachmänner hielten sie noch immer zwischen sich, wohingegen die anderen ein paar Schritte zurückgetreten waren. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, und ihre Augen waren riesig und glasig wie ein moosbedeckter Stein auf dem Grund eines Flusses.
»Und ich sage Ihnen, dass hier ein Missverständnis vorliegt. Ich fordere Sie auf, auf der Stelle mein Haus zu verlassen.« Die Männer machten keinerlei Anstalten, sich zu bewegen oder Kathryns Arm loszulassen. Lucien hätte am liebsten ihre Hände gepackt und sie von ihr weggerissen, sie aus ihrem Griff befreit und in Sicherheit gebracht. Stattdessen kämpfte er seinen aufsteigenden Zorn nieder und versuchte, die Kontrolle über sich zu bewahren.
»Ich warne Sie, Gentlemen. Sollten Sie nicht von Ihrem Ansinnen absehen, werden Sie die Konsequenzen bedauern.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht, was Sie meinen, Mylord. Diese Frau stellt eine Bedrohung für Sie und Ihre Familie dar. Um ein Haar hätte sie die Tochter des Earl of Dunstan getötet. Deshalb müssen wir sie, um Ihrer und unserer eigenen Sicherheit willen, ins St. Barts zurückbringen.«
»Neein!« Kathryns hohe, klagende Stimme durchdrang die Halle. Sie versuchte, sich dem Griff der Wachmänner zu entwinden, deren Hände sich unwillkürlich zu Fäusten ballten und ihren Zugriff noch verstärkten. »Ich habe nicht versucht, sie zu töten«, schrie Kathryn. »Sie war krank, das ist alles. Es war ein Unfall - ich schwöre es!«
Auf das Gesicht des Constable trat ein harter Ausdruck. »Wir
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