Suendiger Hauch
hatten - er hatte Dr. Blakemore mit seinen Drohungen einen riesigen Schrecken eingejagt. Bei ihrer Rückkehr ins St. Bart’s hatte er strikte Anweisungen gegeben, dass keiner der Aufseher sie anfassen durfte. Sie hatte keine Angst mehr, dass einer von ihnen sich ihr aufdrängen würde, was jedoch nicht bedeutete, dass sie sich nicht vor der scharfen Zunge der Aufseherin oder deren hinterlistigen kleinen Schlägen fürchtete.
Oder noch Schlimmeres, wie sie an dem Tag feststellte, als sie sich darüber beschwerte, wie schlecht die Männer Michael behandelten. Sie hatte in der Wäscherei gearbeitet und war über einen riesigen Eisentopf mit siedendem Wasser gebeugt gewesen, wo sie versucht hatte, mit einem langen Holzstab die hundert schmutzigen Nachthemden zu waschen, die in einer brodelnden Seifenlauge schwammen und noch schmutziger waren als ihr eigenes.
Sie hörte Michaels hohe Kinderstimme, noch bevor sie ihn sehen konnte. »Lass den Scheiß, du verdammter Blödmann!«, schrie er. Kathryn zuckte zusammen. Der arme kleine Michael war bestens vertraut mit der englischen Gossensprache und hatte sich einen breiten Cockney-Akzent angewöhnt, den ihm die Wärter beigebracht hatten. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie sein Leben verlaufen würde, sollte er jemals nach draußen gelangen, in die wirkliche Welt außerhalb der Anstalt.
Sie sah ihn durch die offene Tür um die Ecke und in ihre Richtung stürmen. Ein feister Wächter namens Otis folgte ihm dicht auf den Fersen, während er wilde Flüche ausstieß. »Du kleiner Rotzlöffel! Ich bring dein’ Arsch mit mein’ Gürtel zum Glüh’n, wenn ich dich krieg, das sag ich dir.«
Michael setzte seine wilde Hatz fort, obgleich sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich, als er die Drohungen des Aufsehers hörte. Er war häufiger geschlagen worden, als sie zählen konnte, meist schon wegen der geringsten Kleinigkeiten. Und sie hatte immer schon das Gefühl gehabt, dass dieser Otis nur nach einem geeigneten Anlass suchte, um ihn verprügeln zu können. Es schien ihm zu gefallen, Kleinere und Schwächere zu schlagen, außerdem war ihr der merkwürdige Ausdruck aufgefallen, der in seine Augen trat, wann immer er Michael ansah. So, als würde er etwas von dem Jungen wollen und nur auf eine Gelegenheit warten, bis er es sich holen konnte. Kathryn hatte von Männern gehört, die Männer Frauen vorzogen. Sie war sich nicht ganz sicher, wie das vonstatten gehen sollte, doch sie fragte sich, ob Otis vielleicht zu dieser Sorte Mann gehörte und ob es möglich war, dass er im Hinblick auf Michael tatsächlich diese Art Gedanken hegte.
Michael blieb heftig atmend vor ihr stehen, eine Hand in ihr Nachthemd verkrallt, als er hinter ihrem Rücken Schutz suchte.
Otis kam wenige Sekunden später angerauscht, seine breite Brust hob und senkte sich bei jedem Atemzug. »Der verdammte kleine Dieb hat meine Brieftasche gestohlen!«
Michaels Kopf schoss hinter ihrem Rücken hervor. »Hab ich nich’, verdammter Blödmann!«
Otis versuchte ihn zu packen, doch Michael machte einen Satz zur Seite, sorgsam darauf bedacht, dass Kathryn zwischen ihm und Otis stand.
»Michael sagt, dass er sie nicht gestohlen hat.« Kathryn richtete sich noch ein Stück weiter auf, um Otis den Weg zu verstellen. »Vielleicht haben Sie sie ja verlegt.«
Otis starrte sie böse an. »Dieser kleine Hurensohn nimmt mich doch hoch. Dem werd ich’s schon beibringen, Otis Cheek zu beklau’n.« Otis versuchte, einen Schritt um sie herum zu machen, doch sie gab den Weg noch immer nicht frei.
»Ich bin sicher, er hat es nicht getan. Vielleicht sehen Sie ja noch einmal nach -« Seine Hand schoss nach vorn und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. »Du hältst dich da raus, klar?« Er sah auf Michael herab, und ein harter, gemeiner Ausdruck trat in seine Augen. »Der Junge kommt mit mir!«
»Neeeiiiin!«, kreischte Michael. Kathryn war sich sicher, dass er ebenfalls diesen Ausdruck in Otis’ Augen gesehen hatte. Der Junge schien sich inzwischen ernsthaft vor ihm zu fürchten. Sie schob ihn ein Stück weiter hinter ihren Rücken, während ihre eigene Angst in ihren Ohren pochte. »Sie bringen ihn nirgendwo hin. Ich lasse das nicht zu.«
Otis grinste, das widerwärtigste, bösartigste Grinsen, das sie jemals gesehen hatte. »Du lässt das nich’ zu? Du und wer noch soll mich wohl abhalten?«
»Ich!«, schrie Michael und trat mit voller Wucht gegen Otis’ Schienbein. Otis heulte auf und packte ihn grob. Er
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